Die Tibeterin
Personal im »Holiday Inn« trug tibetische Tracht. In den Wänden oder in den Kopfkissen steckten Mikrofone.
Manchmal entdeckten die Touristen die Mikrofone und erhoben Protest. Die Chinesen entschuldigten sich. In Lhasa beachtete man mich kaum. Ein Nomade, der ein Fuchsfell um den Kopf trägt, dessen Pfoten ihm um die Ohren baumeln, ist dort keine außergewöhnliche Erscheinung. Ich fiel lediglich auf, wenn ich in einer der kleinen Imbißstuben eine Suppe schlürfte oder in einer Bar einen Whisky trank. Für gewöhnlich fehlt den Nomaden das Geld dazu. Und in einem Bordell für chinesische Beamte haben sie nichts zu suchen.
Das Amy war ein Tanzlokal und gehörte zu den besten der Stadt.
Im ersten Stock befanden sich ein Restaurant und ein paar Spielsäle mit Mah-Jong und Fantan-Tischen. Im obersten Stock lagen die Stundenzimmer. Die Männer, die hier verkehrten, waren Militärangehörige, Beamte, Offiziere. Es war später Nachmittag: Die Mädchen saßen auf Stühlen, rauchten und warteten auf die Kunden.
Sie trugen hochgeschlitzte chinesische Gewänder, die ihre Schenkel beim Sitzen entblößten. Die Tibeterin, die ich suchte, erkannte ich auf den ersten Blick, nur vom Instinkt geleitet. Man hatte mir von ihrem Mut erzählt, nicht von ihrer Schönheit. Mein Herz begann plötzlich schneller zu schlagen. Sie war klein von Gestalt, mit schmalen Hüften und langen Beinen. Wenn ich ihr beide Hände um die Taille legte, dachte ich, würden meine Finger sich berühren. Ihr Kleid, aus rotgrüner chinesischer Seite, war eng geschnitten. Lange Wimpern beschatteten ihre Augen, die wie schwarze Opale glitzerten. Die olivfarbene Haut war stark gepudert, das Muttermal 370
über ihrem Mund war als Blickfang schwarz nachgezogen. Ihr scharf geschnittenes Profil erinnerte an die Frauen der Ngolog. Ihre Ohren waren muschelförmig und sehr klein, die Lippen üppig und von der Farbe der Wildkirschen. Über dem Mund lag ein Ausdruck tiefer Traurigkeit. Ihr nachtfarbenes Haar trug sie zu einem Knoten gebunden. Es war nicht nur ihre Schönheit, die mich in ihren Bann zog, sondern vielmehr ihre Entrücktheit, die den Eindruck erweckte, als bewege sich diese Frau in einer Traumwelt. Sie hatte etwas aufreizend Abweisendes an sich, eine Gleichgültigkeit, eine beunruhigende Mischung aus Schmerz und Menschenverachtung.
Als ihre Blicke mich streiften, grüßte ich sie; sie zögerte, ehe sie stumm meinen Gruß erwiderte. Ich fragte sie, ob sie etwas trinken wollte. Ich hatte Tibetisch gesprochen; sie antwortete in der gleichen Sprache, aber mit einem starken chinesischen Akzent. Ihre Stimme war leise, fast ein Flüstern. Noch ehe sie sich zu mir an den Tisch gesetzt hatte, sah ich, daß sie betrunken war. Man mußte ganz genau hinsehen, um es zu merken. Sie bestellte für sich einen chinesischen Brandy. Sie prostete mir zu.
»Wo kommt du her?«
»Aus Amdo«, log ich. »Ich habe ein paar Tiere auf dem Markt verkauft.«
Sie schlug ihre Beine übereinander; sie trug Pantoffeln aus Brokat mit sehr hohen Absätzen, die hierzulande ein Vermögen kosteten.
»Du bist also Viehhändler?«
»Ich besitze eine kleine Herde. Ich kommen manchmal nach Lhasa.«
Sie nickte. Seitdem die Chinesen da waren, machten Viehhändler das große Geld. Die Schlachter waren ausnahmslos Muslime.
»Gefällt dir Lhasa?« fragte sie.
»Es wird viel gebaut«, antwortete ich.
Sie warf mir einen langen Blick zu. Ich erregte ihre Neugierde, aber sie traute mir nicht. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
»Wo wohnst du?«
»Ich bin gerade erst angekommen.«
»Hast du Familie hier?«
»Nein.«
»Wie heißt du?«
Ich zögerte, doch nur kurz, dann nannte ich ihr meinen Namen.
»Ich heiße Chodonla«, erwiderte sie leise. Es war, als gebe sie ein Geheimnis preis. Wir unterhielten uns eine Weile. Sie sagte mir, daß 371
ihre Eltern nicht mehr in Tibet seien. Sie selbst war in China in einer
»Schule der Nationalitäten« erzogen worden und sprach fließend chinesisch. Ich ahnte, daß sie zu den tibetischen Kindern gehörte, die man deportiert hatte, um aus ihnen gute Kommunisten zu machen.
Bei einigen war die Verpflanzung gelungen. Bei den meisten nicht.
Ich stellte keine weiteren Fragen. Sie setzte hinzu:
»Ich bin Witwe und habe ein Kind.«
Ich sah diese Auskunft als Rechtfertigung für die Arbeit, die sie tat.
Sie trank einen Schluck Brandy und hustete.
»Ich war Lehrerin, aber ich mußte den Beruf aufgeben. Ich habe etwas an den Lungen,
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