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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gefaßt?«
    »Vorerst spiele ich noch mit dem Gedanken.«
    »Du zweifelst also daran?«
    »Nein, eigentlich nicht. Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit Tenzin darüber. Mein Bruder, du kennst ihn ja.«
    »Und was meint er zu der glänzenden Idee?«
    »Er sagt, ich muß tun, was ich fühle.«
    »Was du fühlst? Merkwürdig, bei solchen Sachen bin ich auch für Gefühle, warum weiß ich nicht. Fühlen ist besser als reden.«
    »Das sagt Tenzin auch.«
    Sie nahm einen großen Schluck Cola.
    »Und Roman?«
    »Weißt du, es ist sehr merkwürdig. Er versucht nicht, mir die Sache auszureden. Im Gegenteil. Ich glaube, er traut mir nicht zu, daß ich mich durchsetze. Vielleicht will er nicht wahrhaben, daß ich gehe.«
    »Vorläufig bist du ja noch da.«
    »Ich beabsichtige zu kündigen.«
    Ich war fast erschrocken über die sachliche Art, mit der wir den Fall besprachen. Ich hatte es mir komplizierter vorgestellt.
    »Arnold wird untröstlich sein«, seufzte sie. »Wie sieht es finanziell aus? Hast du Geld?«
    »Nicht viel, aber es geht. Und in Nepal kann man billig leben.«
    »Für wie lange?«
    »Schon für ein paar Jahre, nehme ich an. Oh, Laura, ich möchte nichts Falsches tun!«
    »Klar«, sagte sie. »Du mußt gehen.«
    »Meinst du wirklich?«
    Sie zeigte ihr schnelles, trockenes Lächeln.
    »Warum fragst du mich? Du willst dich ja nur selbst überzeugen.
    Und dabei findest du es schwer, nicht zu lächeln. Du bist ja schizophren. Und altmodischer, als du glaubst.«
    Ich lehnte mich zurück.
    »Jetzt ist mir besser.«
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7. Kapitel

    E ntschlüsse können auf zweierlei Art gefaßt werden. Manche tauchen wie Blitze in unserem Bewußtsein auf; andere schlagen nur langsam Wurzeln. Von einem Tag zum anderen verwandelte sich meine Lethargie in Tatendrang. Ich schrieb Karma, kündigte ihr meinen Besuch an. Der Brief – und auch die beiden nächsten –
    blieben unbeantwortet, was mich allerdings nicht beunruhigte. Die nepalesische Post war für ihre Unzuverlässigkeit bekannt. Ebenso erfolglos versuchte ich, mit Karma über Fax in Verbindung zu treten.
    Ihre Nummer war nicht ausfindig zu machen. Seit ihrem letzten Brief waren Jahre vergangen. Wahrscheinlich hatte sie ihren Laden aufgegeben, eine neue Wohnung bezogen. Oder sie war verheiratet.
    Die Ungewißheit brachte mich nicht aus der Ruhe. Exiltibeter verfügen über ein netzartiges Clandenken; jeder weiß über jeden Bescheid. Buschtelefon. Das hat nicht nur Vorteile. Diesmal konnte es von Nutzen sein.
    Ich teilte Dr. Kissling meine Kündigung mit. Ich wies auf die Gründe hin, die mich zu diesem Schritt bewogen, und zwar ausführlicher als nötig. Der Chefarzt nickte in seiner spröden Art. Er würde mich vermissen, sagte er. Arnold Kissling war gut zu mir gewesen, als ich vor zwei Jahren, als junge Internistin, mit Hemmungen zu kämpfen gehabt hatte. Das blasse Gesicht und die blauen Augen dieses Mannes blickten illusionslos in die Zukunft. Er zeigte Verständnis, gestand mir seine eigenen Zweifel. Ich saß in dem niedrigen Sessel vor seinem Schreibtisch. Natürlich konnte er das Moralisieren nicht lassen. Aber ich wußte, daß er ein weiches Herz hatte.
    »Eine Karriere schafft eine gesicherte Existenz, ohne Garantie für Wohlbefinden. Sehen Sie, Tara, ich brauche kein Blut mehr abzuzapfen, keine Krankengeschichten zu tippen und habe Zeit für eine Zigarettenpause. Dabei bin ich langweilig und kleinkariert geworden. Ich wünschte, ich hätte frühzeitig etwas Neues angepackt.
    Jetzt bin ich zu alt. Und bedauere, daß ich kein Landarzt geworden bin. Wie lange gedenken Sie in Nepal zu bleiben?«
    Ich sagte, daß die Ausbildung bei einem tibetischen Arzt mindestens acht Jahre dauerte. Er zog die müde Stirn kraus. »Acht Jahre sind eine lange Zeit. Der medizinische Fortschritt ist enorm.
    Denken Sie daran, am Ball zu bleiben.«
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    »Aber ich will ja zurück«, sagte ich. »Meine Familie ist hier.«
    Er beugte sich über den Schreibtisch und gab mir einen leichten Klaps auf die Finger, eine Vertraulichkeit, die er sich bisher nie gestattet hatte.
    »Ich wollte es Ihnen schon lange mal sagen: Ich habe nie geübtere Hände als die Ihren trainiert. Eines Tages werden Sie großartige Sachen vollbringen. Ihre Hände sind Ihr Kapital. Hüten Sie sich also vor Läsionen und Frakturen!«
    Ich fing an, mich von meinem Leben in der Schweiz zu distanzieren; auch von Roman. Für sein geplantes Buch über Exiltibeter hatte er einen Verleger gefunden. Es würde ein gutes Buch

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