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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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werden. Er hatte zwei Wochen Urlaub genommen und wollte sie mit mir in Nepal verbringen. Er war sehr darauf aus, daß ich ihm die nötigen Kontakte vermittelte. Später würde er auch Tibet bereisen, falls ihm die chinesischen Behörden keine Steine in den Weg legten. Ich hatte nichts dagegen, wirklich nicht. Auch, daß er mich nach Nepal begleiten würde, störte mich nicht – es beruhigte mich sogar in gewisser Weise. Auf der anderen Seite empfand ich Roman gegenüber eine Art unterschwelligen Groll, dem Unbehagen ähnlich, Neujahr in ab getragenen Kleidern zu feiern: Das Gefühl des Wiederanfangs, der Erneuerung, wurde dadurch geschmälert. Als ich Laura traf, um mich von ihr zu verabschieden, sprachen wir kurz darüber.
    »Im Grunde willst du ihn los sein.«
    Ich war ihre kühle Offenheit gewohnt.
    »Hätte ich ihm sagen sollen, daß ich allein fahren möchte?«
    »Zu spät. Er hat schon die Flugkarte.«
    »War es ein Fehler, Laura?«
    Sie steckte sich eine Zigarette an.
    »Eine Kinderei. Gib doch zu, du hast trotz allem ein behütetes Leben gehabt. Gut, auch das ist in Ordnung. Jetzt willst du frei sein und dich gleichzeitig anklammern. Das ist eine Phase. Du wirst schon lernen, die verschiedenen Häute der Zwiebel selbst zu schälen.«
    Ihre Klarsicht machte mich betroffen.
    »Vielleicht muß ich das erst üben.«
    »Es wird langsam Zeit.«
    »Ach, und was ist mit Roman?«
    Sie stieß einen Rauchring in die Luft.
    »Kümmere dich nicht um Roman. Er will es ja nicht anders. Er 62
    drängt sich auf.«
    Am letzten Abend ging ich zu meinen Eltern. Es wurde ein seltsamer Abschied. Mein Vater brütete vor sich hin, rauchte seine Pfeife. Amla gab mir Geschenke für Karma. Strumpfhosen, Kugelschreiber, ein Paar bequeme Schuhe. Sie ging auf und ab, mit klirrenden Armreifen, und erteilte mir Ratschläge. Ich ließ sie reden.
    Das lenkte sie ab.
    »Hast du genügend warme Kleider eingepackt? Unterwäsche auch?
    Nimm keine synthetischen Sachen mit. Denke auch an Hautcreme.
    Hautcreme ist teuer in Nepal.«
    Sie blieb plötzlich stehen, rieb sich die Stirn.
    »Was noch? Wenn du ein Taxi nimmst, mußt du den Fahrpreis vorher aushandeln, sonst wirst du übers Ohr gehauen. Ach ja, und sei vorsichtig, wenn du selbst fährst. Die Nepali rasen immer so. Ich mache mir Sorgen.«
    Lhamo rief zum Abendessen. Sie war aus Bern gekommen und hantierte in der Küche. Sie trug einen figurbetonten Pullover und einen Wickelrock, beides rot, eine Farbe, die sie sonst nie gemocht hatte. Ihr kurzes Haar, mit Gel in Form gelegt, glänzte wie Lack.
    Auch ihre sanfte Stimme schien sie trainiert zu haben; sie sprach schnell, hart und scharf. Mit dieser Stimme wirkte sie kühl und kompetent, und gleichzeitig so, als spiele sie die falsche Rolle in einem falschen Film.
    Amla hatte Teigtaschen mit Gemüse gekocht, ein Gericht, das ich früher besonders gemocht hatte. Ich hatte wenig Appetit. Das Essen kam mir geradezu exotisch vor, es schmeckte auch nicht mehr so wie früher. Das Lampenlicht flackerte auf dem Wachstuch; immer, wenn ich Vater ansah, fühlte ich eine beklemmende Unruhe in mir aufsteigen. Tashi schwieg. Seine Augen blickten an mir vorbei; sie sahen auch nicht auf Amla oder auf meine Schwester. Sie starrten ins Leere. Seine Brille lag neben ihm auf dem Tisch. Er brachte kaum einen Bissen herunter.
    »Ein wenig Suppe, vielleicht?« fragte Lhamo. Er hob die Lider, streifte sie mit einem flatternden Blick.
    »Oh, Suppe? Danke, nein…«
    Aufgewühlt, wie ich war, schlug ich einen ärztlichen Ton an. »Du solltest dich hinlegen, Pala.«
    Das Essen verlief in bedrückter Stimmung. Wir gaben uns Mühe, Konversation zu machen. Du mußt früh starten, nicht wahr? Der Flug dauert lange, nicht wahr? Ja, in Nepal kann es sehr kalt sein. Je 63
    länger wir miteinander sprachen, desto weniger wurde im Grunde gesagt, und als es Zeit zum Gehen war, war ich ziemlich erleichtert.
    Im schummrig beleuchteten Gang schlüpfte ich in meinen Daunenmantel, warf meine Tasche über die Schulter und suchte den Autoschlüssel. Und in diesem Augenblick trat mein Vater zu mir. Er war kleiner als ich. Seine vergilbte Haut spannte sich über die Knochen, und die Lippen waren gekräuselt wie dünnes Seidenpapier.
    Zwischen ein paar Bartstoppeln stand der Mund leicht offen. Seine hellen Pupillen erinnerten mich an die eines Nachtvogels, die sich tagsüber bläulich verschleiern. Er ergriff meine beiden Hände, drückte sie an seine Stirn, was er zuvor nie getan hatte.

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