Die Tibeterin
grellen Reizfarben und verstaubten Drogerieartikeln häufte sich in den Regalen. Von den Wänden lächelten vollbusige Hinduschönheiten oder die –
vorzugsweise blonden – Playmates of the Month. Die hübschen einheimischen Steppdecken stapelten sich staubbedeckt in großen Körben. Roman bewunderte sie sehr. Um uns herum flutete rufend, spuckend, Körbe tragend und Karren schiebend die anonyme Masse der Bewohner von Kathmandu. Zwischen den Füßen der Passanten hatten Händler ihre Matten ausgebreitet, verkauften gebündeltes Gemüse, klebrige Süßigkeiten, Knabbergebäck und Curd, den nepalischen Joghurt aus Büffelmilch, auf dem die Fliegen klebten.
Wir irrten durch die Menge, schüttelten einige Bettler ab, als sich am Ende der Straße eine blaustrahlende Lücke auftat. Hoch über den Dächern schwebte ein goldenes Riesenantlitz, ließ die Häuser mit ihren Stromkabeln und Fernsehantennen klein wie Spielzeug erscheinen. Es war, als blicke das Gesicht auf die Stadt, ein Antlitz der Macht, mit heiteren, prophetischen Augen. Die Lider, lapisblau und golden, senkten sich über die schwarze Iris, die Nase – ebenfalls golden und blau – war geformt wie ein Bischofsstab. Über den geschwungenen Brauen kennzeichnete eine tellergroße Kupferplatte das »Dritte Auge« - die Tika der Hindus. Die Straße mündete auf einen großen Platz. Hier wuchs das goldgekrönte Antlitz aus einer marmornen Halbkugel, schneeweiß und mit Blütenstaub bestreut.
Ob der Stupa eine Grabstätte sei, fragte Roman etwas atemlos.
»Ursprünglich ja. Aber zugleich ist er ein Abbild des Kosmos und Symbol der Allgegenwart Buddhas.«
Die goldblauen Riesenaugen verströmten Faszination.
»Ich fühle mich hypnotisiert wie ein Huhn«, seufzte Roman. »Ich könnte stundenlang zurückstarren.«
»Die Augen stellen Sonne und Mond dar, aber gleichzeitig auch die Seele. Wir sagen, daß die Seele zwei Augen hat; das eine blickt auf die Zeit, das andere auf die Ewigkeit.«
Jeder Stupa, erklärte ich Roman, war ein architektonisches Mandala. Sockel, Treppe, Halbkugel und Turm zeigten die fünf Elemente, aus denen sich alles Geschaffene, Geborene und Gewordene zusammensetzt.
»Auch die Farben sind den Elementen angepaßt: Zuerst das physikalisch schwerste Element, die gelbe Erde; dann das weiße Wasser, das rote Feuer, die grüne Luft, der blaue Äther und schließlich die transzendentale Flamme. Die dreizehn Turmringe 79
zeigen den Weg des Menschen von der Stufe der Unwissenheit bis zur Erleuchtung, dargestellt durch die Goldkrone.«
Von der Spitze des Heiligtums flatterten, an Seilen befestigt, unzählige bunte Gebetsfahnen, mit Beschwörungen beschriftet.
Steinerne Buddhafiguren säumten die Marmorstufen. Große Gebetszylinder aus Messing leuchteten in Nischen. Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche umkreisten mit energischen Schritten den Stupa, stets im Uhrzeigersinn, wobei sie jeder Gebetsmühle beim Vorbeigehen mit der Hand einen kleinen Stoß versetzten, so daß diese sich schneller drehte. Roman sah mich perplex an. Ich lächelte.
»Sie halten die Schöpfung in Bewegung.«
Der Platz war von Kneipen gesäumt, die meisten mit Vorhängen aus blauen Holzperlen versehen, und es roch nach Schnaps.
Hinduschnulzen wimmerten aus Transistoren. Eine Männerstimme kreischte aus einem Lautsprecher. Roman runzelte die Stirn, auf zurückhaltende Art beunruhigt.
»Eine politische Versammlung?«
»Aber nein, der gibt bloß Lottozahlen durch.« Stämmige Frauen schleppten Stoffballen oder schwere Körbe, die durch ein Stirnband gehalten wurden. Staub klebte an ihren kräftigen halbnackten Beinen mit den tätowierten Schlangen und Lotusblumen. Sie hatten braune, ausgesprochen mongolische Züge. An ihren Zöpfen baumelten Türkisamulette und Bergkorallen.
»Das sind Gebirglerinnen«, sagte ich. »Sie kommen, um Ware zu verkaufen. Inzwischen besorgen die Männer Feld und Haushalt.«
Wir irrten durch die Menge, gefolgt von einer hartnäckigen Kinderschar, die mit ausgestreckter Hand die Worte »Bonbon« und
»Bakschisch« kreischten. Nach einer Weile hatte es Roman satt und griff in seine Hosentasche.
»Nein, Roman! Kein Geld!« warnte ich ihn.
Schon kam ein mürrischer Mann, scheuchte die Kinder fort, wie ein Bauer das Geflügel scheucht. Ich zeigte ihm den Umschlag mit Karmas Adresse. Der Mann schüttelte den Kopf und ging. Während wir unschlüssig dastanden, zupfte mich eine alte Tibeterin am Ärmel. Sie hatte ein braunes Apfelgesicht,
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