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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Lufthansa nach Zürich ging erst drei Tage später. Roman meinte, er wollte sich noch ein wenig in Kathmandu umsehen. Er sagte das in einem besonderen Ton, und ich lächelte im stillen. Viele Männer werden nach einer Trennung sentimental. Eine exotische Episode würde ihn auf andere Gedanken bringen. Präservative hatte er immer dabei. Seit unserem Besuch im Kloster – eine Woche zuvor – hatte eine merkwürdige Stimmung zwischen uns geherrscht. Wir gehörten zusammen, und doch auch nicht mehr. Wir waren ein paarmal in Bodhnath gewesen, hatten mit Flüchtlingen gesprochen. Es war niemals schwierig, mit Tibetern ins Gespräch zu kommen, sie legten Wert darauf, angehört zu werden.
    Roman war sehr darauf aus zu lernen. Er wollte auch nach Indien gehen und Tibet bereisen – bevor ihm die chinesischen Behörden als
    »subversiver Autor« die Einreise verweigerten. Er erkannte allmählich, daß er nicht alles sofort greifen konnte, daß es zudem besser und höflicher war, das nicht zu tun.
    Am Morgen meiner Abreise begleitete er mich zum Schalter, wo die Flugscheine gestempelt wurden.
    »Inzwischen ist mir einiges klargeworden«, sagte er. »Und das mit den Gefühlen… so unrecht hatte er nicht, dieser Lama.«
    »Ich bin froh, daß du das einsiehst.«
    »Das habe ich dir zu verdanken.«
    Ich lächelte.
    »Doch wohl eher Jonten Kalon.«
    Wir gingen Hand in Hand, während die Menschen an uns vorbeiströmten. Vor uns die Kontrolle, wo das Handgepäck durchleuchtet wurde. Die Passagiere nach Pokhara wurden bereits aufgerufen. Roman schloß mich in die Arme.
    »Wie wär’s, wenn ich dich im nächsten Jahr besuche? Wir könnten zusammen nach Tibet gehen.«
    »Ich glaube nicht, daß es allzu schwer sein wird.«
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    Er küßte mich; ich drücke mein Gesicht an das seine und streichelte seine Wangen mit den Fingerspitzen. Ich mochte ihn eigentlich sehr. Er war jemand, der verstehen wollte; er setzte sich für Gerechtigkeit ein, zielstrebig und ohne Vision. Menschen mit Erfahrung durchschauten das, übten Nachsicht und fanden ihn nett.
    Unser Zusammensein war angenehm gewesen; aber kaum etwas bot sich als gehaltvolle Erinnerung an. Ein Gefühl zunehmender innerer Distanz milderte die Melancholie. Und so nahmen wir Abschied.
    Wir fühlten uns nicht besonders wohl dabei, aber auch nicht übermäßig traurig. Wir hatten beide etwas gefunden, das uns mehr interessierte.
    Nach einer Stunde Flug senke sich die Maschine; sie verlor an Höhe, ruckartig, als vollführe sie kleine Sprünge. Sie durchbrach die wehenden Wolken, flog am Halbkreis der Berge entlang. Der Himmel leuchtete in metallisch hellem Blau. Über dem Grün der Ebene und dem Braun der oberen Hänge ragte eine schlanke, atemberaubende Bergspitze, von gleißendem Neuschnee ziseliert: der Machupuchare, der »große Himmelsfisch«, der – wie die Sage weiß – einst von der Milchstraße auf die Erde stürzte und aus seinem Rogen das Leben hervorbrachte. Und bald kam, in neunhundert Meter Höhe, das Städtchen in Sicht. Terrassenförmige, braun-weiße Häuser schienen in dunkle Wälder getaucht, mitten im Tal schimmerte der Phewa-See wie ein blaues Auge. Die Maschine zog eine Schleife über dem Flughafen, setzte zur Landung an. Auch in Pokhara hatte es geregnet; die Sonne blitzte in den Pfützen. Das Flugzeug rasselte, als die Räder auf die Rollbahn drückten und die Maschine ihren Bremsweg auf der kleinen Landepiste hart abkürzte.
    Wir waren am Ziel.
    Zehn Minuten später pferchte ich mich mit Rucksack und zwei Taschen in ein Taxi. Das Flüchtlingscamp verfügte über ein Faxgerät. Jonten Kalon hatte mir die Nummer gegeben, so daß ich Karma meine Ankunft hatte mitteilen können. Das Taxi, von Rost zerfressen, rumpelte durch Pfützen und Schlaglöcher. Noch vor zwei Jahrzehnten war Pokhara ein verträumter Marktflecken gewesen, der nur in den Wintermonaten zum Leben erwachte, wenn die Gebirgler mit ihren Maultierkarawanen herbeikamen, um Waren zu tauschen.
    Der Bau der Hauptstraße, die Installierung großer Wasserkraftwerke, rissen das Städtchen aus seinem Dornröschenschlaf. Pokhara entwickelte sich zum regionalen Zentrum der Bauindustrie und Behörden. Die Bergbauern wollten mehr Geld verdienen. Man ließ 100
    sie Steine klopfen. Ganze Familien hausten in Bretterbuden oder Backsteinhütten ohne Wasser. Die Zivilisation brachte Schrottplätze und Müllhalden, Abgase und Lärm. Auf einem Inselchen im Phewa-See befand sich ein Luxushotel, durch Zierbüsche und

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