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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ausgerechnet für diesen?« Im schummrigen Licht der Lampe betrachtete ich mich in dem fleckigen Spiegel über dem Waschbecken. Meine Augen schienen etwas eingesunken, und über meiner Nasenwurzel hatten sich zwei kleine Falten gebildet. Die Ehrlichkeit verlangte, daß ich sie nicht nur der schlechten Beleuchtung unterstellte. Ich seufzte und wandte mich ab.
    Eine halbe Stunde später klopfte Atan an die Tür; es war allerdings eher ein verstohlenes Kratzen. Dieser Mann vermied Lärm auf alle erdenkliche Weise. Ich hatte ihn durch das Fenster gesehen, und es hatte mir einen Stich geben, doch hatte ich mich rechtzeitig wieder in der Gewalt. Man hatte ihm frische Kleider gegeben: Jeans, eine dicke Windjacke. Den Pelz hatte er mit einem Gürtel um die Taille geschlungen.
    »Das riecht aber ausgezeichnet«, meinte er. »Ein Mann bekommt es allmählich satt, von Flechten und Rinden zu leben.«
    Ich lachte ein wenig.
    »Setzen Sie sich. Sie müssen müde sein.«
    »Ich bin nie müde.«
    Bevor er eintrat, zog er gewohnheitsmäßig seine Stiefel aus; man hatte ihm auch frische Socken gegeben. Aus dem dicken Wolfsfell strömten Gerüche nach Fett, Yakdung, Holzkohle und Talg; Gerüche, die tief in meine Erinnerung eingegraben sein mußten, so daß ich sie nicht als störend, sondern als fast vertraut empfand. Ich gab ihm gleich Bericht, wie es um Sonam stand. Er hörte ausdruckslos zu. Ich war unfähig, meinen Blick von seinem Gesicht 139
    zu lösen, diesen harten, fast mahagonidunklen Zügen, die vollen Lippen, den tiefliegenden Augen, schwarz wie Obsidian.
    »Sie hat eine schwere Lungenentzündung«, sagte ich. »Ich habe eine Blutentnahme nach Kathmandu ans Institut geschickt und habe ihre Temperatur nach Möglichkeit heruntergedrückt. Morgen kann es schon viel besser aussehen.«
    Er hielt die halb zugekniffenen Augen unentwegt auf mich gerichtet. Schließlich sagte er:
    »Die Reise war hart für sie. Ich habe oft gedacht, sie schafft es nicht. Aber sie hat mehr Kräfte, als man ihr zutraut. Und sie dachte an das Baby.«
    Ich fragte mich, ob das Kind von ihm war, doch er gab mir von selbst die Antwort.
    »Ihr Mann wurde erschossen. Rigdzin – so hieß er – pflegte Kontakte zu Nationalisten. Sie hätten Sonam nicht nur eine Pistole an den Kopf gehalten und zehn Sekunden Zeit gegeben, sich zu entschließen, ein paar Namen zu nennen. Sie hätten andere Methoden angewandt.«
    Seine Worte sagten nicht viel aus, bloß ein dürres Mindestmaß an Information. Doch er brauchte mir keine unappetitlichen Einzelheiten zu erzählen, ich wußte Bescheid.
    »In dem Fall war es wirklich das Beste, daß sie Tibet verlassen hat.«
    »Sie wird nach Indien gehen. Sie hat Verwandte in Agra.«
    »Das Klima dort ist gut für sie. Trocken und nicht zu heiß.«
    »Ja. Und es läßt sich vielleicht machen, daß sie keinem Chinesen mehr begegnet.«
    Sein feuchtes Haar, am Hinterkopf mit Seidenbändern befestigt, fiel offen bis auf die Hüften, damit es trocknen konnte. Keine staubige Masse mehr, sondern eine unglaublich dichte, lockige Fülle, in den Schattierungen von braunrotem Herbstlaub. Im alten Tibet galt langes Haar als Vorrecht des freien Mannes. Bei den Nomaden war es Symbol der Lebenskraft und durfte nicht geschnitten werden; man hätte es als Verstümmelung empfunden; zudem konnte jemand es in die Hand bekommen und zu einem bösen Zauber mißbrauchen.
    Das geschorene Haupt der Mönche und Nonnen zeigte, daß sie ihre Lebenskraft dem Glauben opferten, sich schutzlos den Gottheiten darboten. Und wenn eine Sitte bei einer Volksgruppe derart in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird sie nicht von einer Generation zur anderen aus der Welt geschafft.
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    Ich beobachtete ihn, verstohlen und hingerissen, während ich mich mit dem Essen befaßte. Er trug, ziemlich weit hinten am Ohrläppchen befestigt, einen Ring aus schwerem Silber, mit einem großen Türkisstein. Er stand ihm gut. Ich dachte, würde ich so einen Mann in Europa treffen, ich wäre unfähig, ihn irgendeiner Abstammung zuzuordnen. Er konnte ebensogut aus dem äußersten Rand des Irans wie von den Grenzen Indiens oder Bhutans stammen.
    Er verwirrte mich und machte mich neugieriger als je ein Mann vor ihm. Ich schalt mich selbst. »Du sentimentale Idiotin! Laß dich von ihm nicht durcheinanderbringen, bloß, weil er ein Mann ist und du schon lange keinen Mann mehr gehabt hast. Du hast Wichtigeres zu tun.«
    Ich füllte den Teller und kehrte zum Tisch zurück. Ich fragte ihn,

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