Die Tiefe einer Seele
sie und entschwand eiligen Schrittes. James schaute ihr kopfschüttelnd, aber deutlich besser gelaunt hinterher.
»Ich soll das Auto fahren?« Überrascht blickte Amelie ihren Reisegefährten wenig später an. »Bist Du sicher?«
James nickte. »Ja! Ich gehe mal davon aus, dass Du einen Führerschein hast, und nachdem ich in der letzten Nacht kaum geschlafen habe, ist es wohlmöglich für unser beider Gesundheit besser, wenn Du den Audi steuerst. Außerdem ist ja eh schon eine Beule drin, da kann ich es Dir doch getrost überlassen, nicht wahr?«
Das Mädchen schnitt ihm eine Grimasse und fing geschickt den Autoschlüssel auf, den James ihr lächelnd zuwarf. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen und seine Mine wurde ernst.
»Du wirst doch keine Dummheiten machen, Amy?«, fragte er leise. Amelie erstarrte.
»Hast Du Angst, dass ich den Wagen gegen einen Baum lenke oder so etwas Ähnliches?«, antwortete sie genauso leise.
»Oder so etwas Ähnliches!«, wiederholte James angespannt. Amelie schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sprang der Schalk geradezu heraus. »Ach weiß Du, Prescott«, zog sie ihn auf. »So ätzend finde ich Dich nun auch wieder nicht, dass ich Dich an einem unschuldigen Baum zerquetschen möchte. Und jetzt steig ein, ich will sehen, was die Kiste so drauf hat.«
Ich soll was sein? Ätzend? Das verstehe sogar ich! Unverschämtheit!
Leise vor sich hin grummelnd folgte er ihrer Aufforderung und setzte sich neben sie auf den Beifahrersitz. Amelie ließ den Motor an und der Wagen rollte sachte los. Nervös verfolgte James ihre Bewegungen, aber nach wenigen Minuten entspannte er sich. Der Audi schien ihr keine Probleme zu bereiten, sie lenkte ihn ruhig und sicher.
»Hör mal, Amy«, begann er verlegen. »Ich muss mich echt noch mal entschuldigen, für das, was mir da gestern im Restaurant rausgerutscht ist. Ich habe einfach nicht nachgedacht.«
Die junge Frau verdrehte die Augen im Kopf und stöhnte leise auf. »Geht das schon wieder los? Ist das etwa so ein schräger Wettbewerb bei Euch Amis? Sag tausend Mal am Tag sorry, und Du gewinnst einen Gutschein bei McDonald’s oder was? Lass es doch bitte. Das macht mich wahnsinnig.«
»Das geht mir mit Dir genauso, Amy Johannson«, verteidigte sich James energisch. »Ich versuche den richtigen Ton zu finden, aber das ist bei Dir nahezu unmöglich. Du bist der rätselhafteste Mensch, der mir je begegnet ist.«
»Reg Dich ab, Prescott. Ich weiß, dass es kompliziert ist mit mir. Und was das von gestern betrifft: Du hast da nichts auf den Plan gerufen, was ich nicht sowieso schon wusste. Denn ja, es gab Augenblicke in meiner Vergangenheit, wo mir mein Leben alles andere als lieb war. Das ist eine Tatsache, mit der ich mich tagtäglich auseinandersetze. Auseinandersetzen muss! Es ist aber nichts, worüber Du Dir Gedanken machen müsstest. Also tu mir den Gefallen und behandle mich nicht wie ein rohes Ei. Ich bin keines! Und jetzt schließ die Augen und versuche ein bisschen zu schlafen. Ich bin mir sicher, dass die Dame vom Navigationssystem und ich Dich unversehrt nach Berlin bringen werden.«
Die Eindringlichkeit in ihrem Tonfall ließ keinen Widerspruch zu, und James spürte intuitiv, dass er es für den Moment gut sein lassen musste. Dabei wollte er es unbedingt wissen. Wollte erfahren, was sie so aus der Bahn geworfen hatte, wer oder was sie so verletzt hatte, dass sie glaubte, sich das antun zu müssen. Aber ein Blick in ihr versteinertes Gesicht zeigte ihm, dass es wenig Sinn machte. Also rollte er sich auf seinen Sitz zusammen und schlief bald darauf ein.
Er wurde wach, als Amelie den Wagen ausstellte. Müde reckte er seine Glieder und schaute sich verwundert um. Offensichtlich befanden sie sich auf eine Autobahnraststätte. »Was ist los? Warum hast Du angehalten?«, murmelte er verschlafen.
Das Mädchen lächelte ihn verlegen an. »Tja, es ist zwar nicht mehr weit bis nach Berlin, aber ich muss dringend pinkeln. Zuviel Pfefferminztee am Morgen. Außerdem dachte ich, wir könnten noch einen Happen schnappen.«
James starrte sie ungläubig an. »Wie bitte, Du willst schon wieder etwas essen? Und das, nachdem Du gerade erst vor zwei Stunden die Wochenration eines Pfadfinder-Zeltlagers verputzt hast? Wie ist das möglich?«
Amelie hob warnend den Zeigefinger. »Nanana, nun übertreiben Sie mal nicht, mein Herr. Mir ist klar, dass man in Ihrem Alter weniger Nahrung benötigt, denn wenn man sich kaum noch
Weitere Kostenlose Bücher