Die Tiefe einer Seele
bewegen kann, verbraucht man auch keine Energie. Ich hingegen bin jung und dynamisch, und jede Kilokalorie ist essentiell für mich.«
»Junges Fräulein, es mag Ihnen entgangen sein, aber man sagt schon seit Jahren nicht mehr Kilokalorie, allerhöchstens Kilojoule.«
»Klugscheißer!«
»Danke gleichfalls!«
»Also was ist nun? Bekommst Du es gebacken, ein leckeres Eis zu organisieren, während ich die Toilette aufsuche, oder ist das zu viel verlangt.«
James schmunzelte. »Na, das kriege ich alter Mann noch gerade so hin!«
Amelie nickte wohlwollend und stieg aus dem Auto. Ihr Begleiter sah ihr mit bewundernden Blicken nach.
Was für ein heißer Knackarsch! …..Ääääääh, was soll das denn jetzt bitte? Bist Du von allen guten Geistern verlassen James Prescott? Hallo? Das ist Amelie! Sie ist keine Frau, …also nicht im eigentlichen Sinne…! Jedenfalls nicht für Dich! Du solltest Dich was schämen, alter Knabe. Das Mädchen braucht Hilfe und niemanden, der ihr auf den Hintern glotzt. Vielleicht irgendwann, aber bestimmt nicht jetzt!
Als Amelie von der Toilette zurückkehrte schaute sie sich suchend nach James um und fand ihn auf einem kleinen Rasenstück neben den Parkbuchten sitzend. In seinen Händen hielt er das gewünschte Eis, aber er machte einen verwirrten Eindruck. Als sie näher kam, erkannte sie, dass er nicht nur durcheinander war, sondern auch aufgebracht.
»Hey, was ist los, Prescott?«, rief sie. »Haben Sie Dir die Geldbörse gestohlen, oder warum schaust Du so grimmig rein?« Ihre Blicke trafen sich und Amelie sah eine wilde Entschlossenheit in seinen Augen. Erschrocken wich sie zurück. James sprang auf und stand in Sekundenschnelle vor ihr.
»Ich will es wissen, Amy!« stieß er hervor. »Und guck mich nicht so an mit Deinen großen, funkelnden Augen. Du wolltest nicht, dass ich Dich wie ein rohes Ei behandle, also tue ich es auch nicht. Spuck es endlich aus, verdammt! Ich will wissen, nein, ich muss wissen, warum Du das getan hast. Sag es mir! Sofort!«
Kapitel 10
20. Juni 2003 – Spiekeroog
»Drogen? Ja seid Ihr zwei denn von allen guten Geistern verlassen?« Egidius Johannson war völlig außer sich. Wutentbrannt starrte er seine Söhne an, die wenig reumütig vor ihm im Büro des Rektors der Theodor-Storm-Schule standen. Liebend gerne hätte er die beiden Übeltäter weiter angeschrien, aber er wusste, dass das hier wohl nicht der richtige Ort dafür war. Also sank er wieder zurück auf seinen Stuhl. Es war nicht das erste Mal, dass die 17-jährigen Zwillinge Jonas und Samuel auffällig wurden. In den vergangenen Wochen hatte Rektor Brockmann des Öfteren bei den Johannsons anrufen müssen, um von den Missetaten der Jungen zu berichten. Luft aus den Fahrradreifen der Mitschüler entweichen zu lassen oder Kaugummi unter die Tische kleben gehörten da noch zu den Kavaliersdelikten. Graffiti an der Vorderfront der Sporthalle aufsprühen und Kakerlaken in die Mensa einschmuggeln hingegen waren da schon ein anderes Kaliber. Doch das hier, das schlug dem Fass den Boden aus. Nach der ersten großen Pause waren die beiden erwischt worden, wie sie hinter der dichten Wallhecke am Rande des Schulhofes verdächtige Substanzen konsumierten. Amphetamine, besser bekannt als »Speed« wie Rektor Brockmann sich von jüngeren Kollegen hatte aufklären lassen.
Das alleine wäre schon schlimm genug gewesen. Aber scheinbar hatten die Zwillinge mit dem Zeug unter ihren Mitschülern auch gedealt, etwas, das unter anderen Umständen niemals hinnehmbar gewesen wäre und mit einem sofortigen Schulverweis geahndet worden wäre. Doch in diesem Fall tat Rektor Brockmann sich schwer mit der notwendigen Konsequenz und das mit recht. Er hatte die Eltern der Jungen umgehend in die Schule gerufen und sie über das jüngste Vergehen ihres Nachwuchses informiert.
»Mir ist durchaus bewusst, Herr und Frau Johannson, dass sich Ihre Familie derzeit in einer mehr als schwierigen Situation befindet. Dennoch kann ich nicht umhin, Ihnen mitzuteilen, dass das momentane Verhalten ihrer Söhne für uns so nicht länger tragbar ist, und dass wir uns disziplinarische Maßnahmen vorbehalten.«
Rektor Brockmann sah mit tiefzerfurchter Stirn auf Egidius und Magda Johannson, die aschfahl und zusammengekauert auf ihren Stühlen ein Bild des nackten Jammers boten. Daneben standen ihre Jungs, die auf der einen Seite durchaus etwas Rebellisches ausstrahlten, doch der Lehrer sah auch die Trauer und den Schmerz, die
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