Die Tiefe einer Seele
nicht stimmte. Joshua stand zusammen mit seinen älteren Zwillingsbrüdern im Vorgarten. Die drei stierten entsetzt auf die Hauswand. Als Magda nah genug war, erkannte sie, warum ihre Jungs das taten. Jemand hatte große, blaue Letter auf die rote Backsteinwand gesprüht. Mit Abscheu und Ekel realisierte sie, was dort stand:
KINDERSCHÄNDER
Magda wurde von einer widerlichen Übelkeit erfasst. Sie kämpfte dagegen an, aber letztendlich war diese Schlacht keine, die sie gewinnen konnte. Lautstark übergab sie sich unter den schockierten Blicken ihrer Söhne.
Kapitel 15
14. Mai 2013 – Berlin
»Liam, nein, um Gottes willen…neeeeeeein, Liam, Liam, Liam, neeeeeeeeeeiiiiiiin.«
»Oh mein Gott, es ist ein Kind, neeeeein. Jemand muss den Notruf wählen. Schneeeeelll!«
Diese Schreie! Diese gellenden Schreie seiner Schwester, …….der Menschen da unten. Seit fast sieben Jahren hatte James sie nicht mehr gehört. Hatte ihnen den Zutritt zu seinen Gedanken, das Eindringen in sein Gehirn verboten. Sehr erfolgreich war er damit gewesen. Unfassbar erfolgreich. Aber das war jetzt Vergangenheit. Sie waren zurückgekehrt. Hatten sich ohne jegliches Mitleid wieder eingenistet in seinem Kopf. Marterten ihn, wollten ihn zerstören. Und warum das alles? Nur weil dieses verrückte Mädchen irgendeinen Blödsinn von sich gegeben hatte. Er musste weg hier, einfach weg. Also lief er. Seine Schritte wurden immer schneller. Er ließ die »Topographie des Terrors« hinter sich, denn er hatte gerade eine ganz andere Art von Terror aushalten, nämlich den gegen seine eigene Person. An nichts anderes konnte er mehr denken. Auch nicht an Amelie, die verzweifelt versuchte, den hochgewachsenen Mann einzuholen, was ihr wohlmöglich niemals hätte gelingen können, wenn James nicht plötzlich stehengeblieben wäre, um sich Sekunden später auf eine Bank am Straßenrand zu hocken. Er stützte die Ellenbogen auf seine Knie und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Amelie setzte sich schwer atmend neben ihn, sprach ihn aber nicht an und wagte es auch nicht, ihn zu berühren. Minutenlang verharrten sie so. Waren in ihrer eigenen kleinen Welt gefangen, den rauschenden Verkehr in Berlins Straßen nicht im Geringsten beachtend.
»Es tut mir leid, James«, riskierte Amelie schließlich den Ausbruch aus der bedrückenden Situation. »Ich wollte Dir ganz bestimmt nicht zu nahe treten. Mir war halt so, als ob es da etwas geben würde, das Dich belastet. Und wenn Du darüber reden möchtest, bin ich für Dich da, das sollst Du wissen.« Vorsichtig griff sie nach einer seiner Hände und zog sie von seinem Gesicht. Der Amerikaner ließ die andere von sich aus sinken und schaute sie aufgewühlt und ein Stück weit verbittert an.
»Du machst mich echt fertig, Amy, weißt Du?«, krächzte er leise. »Und lass Dir gesagt sein, Du wirst hier nicht einfach so hingehen und die Rollen verdrehen. Es mag sein, dass auch in meinem Leben unschöne Dinge passiert sind. Aber ich bin nicht derjenige, der seine Handgelenke unter langärmeliger Kleidung verbirgt. Ich bin es nicht, der sein Schicksal nicht angenommen hat und sich stattdessen lieber feige verdünnisieren wollte. Also hör auf, auf verständnisvolle Freundin zu machen. Du hast mir vorgeworfen, dass ich versuchen würde, abzulenken. Ist es nicht vielmehr so, dass Du das tust? Und zwar andauernd? Wenn Du in diesem Spiel eine neue Karte auf den Tisch donnern möchtest, solltest Du Dich darauf gefasst machen, dass ich das auch tun werde. Weil ich das gleiche Recht dazu habe wie Du. Willst Du also in meine Abgründe blicken, dann wird das umgekehrt genauso geschehen müssen. Finde Dich damit ab, Amelie Johannson, je früher, desto besser.«
Das rothaarige Mädchen war leichenblass geworden unter seinen Worten. Ein Anblick, der James nicht unberührt ließ. Möglicherweise hatte er sie ein bisschen härter angegangen, als er das jemals beabsichtigt hatte, zurücknehmen würde er das Gesagte aber nicht. Dennoch war er mehr als bestürzt, als sie ihre Hand zurücknahm, die immer noch auf seiner gelegen hatte. Das war so vertraut gewesen, so intensiv. Und er fühlte, wie sie sich abermals vor ihm verschloss und eine Barriere errichtete, die man zwar nicht sehen konnte, jedoch umso schmerzhafter spürte.
»Nein, Amy nicht!«, sagte James leise und umfasste nun seinerseits ihre Hand. »Mach nicht wieder zu! Bitte! Wir müssen ja nicht gleich alles bereden. Vielleicht sollten wir uns tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher