Die Tiefe einer Seele
zunächst die Möglichkeit geben, uns näher kennenzulernen. Damit wir beide besser einzuschätzen vermögen, was wir aushalten können und was nicht. Darum schlage ich vor, dass wir für heute Schluss machen mit der Recherche. Ja, ja, ich weiß, soviel haben wir uns noch nicht angeschaut, aber irgendwie zieht einen das Thema doch erst richtig runter, nicht wahr? Wollen wir stattdessen nicht etwas unternehmen, was Spaß macht? Vielleicht schwimmen gehen? Oder Fahrrad fahren? Sag‘, wozu Du Lust hast.« Er sah sie eindringlich an und war erleichtert, als sie schüchtern seinen Blick erwiderte, schließlich sogar lächelte.
»In Ordnung«, stimmte sie zu. »Lass uns Spaß haben. Aber nicht schwimmen! Würde eh nicht gehen, ich hab keinen Badeanzug dabei. Vielleicht fahren wir jetzt erst zum Hostel, um dort einzuchecken, und dann schauen wir mal, ja?«
Der Amerikaner nickte und musste plötzlich grinsen. Im Nu waren alle negativen Gedanken verschwunden und er empfand etwas, das er eventuell sogar als Glück bezeichnen würde. Entspannt lehnte er sich auf der Bank zurück. »Äääääh, James?«, machte Amelie sich irritiert bemerkbar. »Wollten wir nicht los?«
»Ja gleich«, murmelte ihr Begleiter und dachte nicht im Traum daran, ihrer Aufforderung nachzukommen, geschweige denn ihre kleine Hand loszulassen, die fest und warm von seiner umschlossen wurde.
»Was soll das heißen, es sind nur noch zwei Betten in einem Mädchenzimmer frei?«
Eine halbe Stunde später war James‘ kurzfristiges Glücksgefühl längst wieder in weite Ferne gerückt.
»Das soll heißen, dass Sie im Vorfeld kein Zimmer gebucht haben, und wir derzeit bis auf eben diese zwei Plätze in dem Achtbettzimmer voll belegt sind. Es ist keine fünf Minuten her, da habe ich dort sechs Frauen, die sich auf einer Kegeltour befinden, untergebracht. Wenn Ihnen das nicht passt, werden Sie wohl oder übel weiterziehen müssen!« Drei Wochen fast ununterbrochenen Dienstes an der Rezeption des neu eröffneten Hostels hatten den jungen Mann mürbegemacht wie ein Stück ausgetrockneten Kuchen und zickig wie ein menstruierendes Mädchen ohne griffbereite Tampons.
»Soll also heißen, dass ich die Nacht mit sieben Frauen verbringen muss?« James Mimik ließ keine Spekulationen zu, er war entsetzt. Nein, das drückte es nicht richtig aus. Vielmehr war er peinlich berührt. Und sah dabei zum Schießen aus.
Amelie versuchte krampfhaft, Haltung zu bewahren, was aber zur Gänze misslang. Misslingen musste! Sie prustete los und lachte aus vollem Halse. So sehr, dass sie sich den Bauch halten musste, so sehr, dass ihr dicke, glitzernde Tränen über die Wangen kullerten, so sehr, dass jegliche ungute Zeit des Tages nur ein verblassender Schatten war.
James fand den Gedanken an die kommende Nacht inmitten eines Hühnerstalls zwar immer noch über alle Maßen gewöhnungsbedürftig, aber Amelies herzhaftes Lachen entschädigte ihn in vollem Umfange. Es tat ihm gut und er wünschte, dass er es von nun an sehr oft zu hören bekommen würde.
»Also gut, ääääääh, Rüdiger!«, sagte er mit einem Blick auf das Namensschild des Mannes. »Wir nehmen die zwei Betten, inklusive des Frühstücks morgen. Die junge Dame hier und ich werden aber jetzt nur unser Gepäck abstellen und wollen dann noch etwas unternehmen. Am besten etwas, wo wir uns ein bisschen bewegen können.«
Der besänftigte Rüdiger strahlte angesichts des nun komplett ausgebuchten Hostels wie die aufgehende Sonne und nickte wohlwollend. »Sie könnten inlineskaten!«, schlug er vor. »Im Volkspark Friedrichshain ist ein 700 Meter langer Asphalt-Rundkurs, der sich auch hervorragend für Anfänger eignet.«
James runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht«, meinte er zweifelnd und schaute Amelie an. »Glaubst Du, dass Rollschuhfahren das Richtige ist für uns?« Er hatte noch nicht mal ausgesprochen, da wurde die junge Frau von ihrem nächsten Lach-Flash erwischt. »Rollschuhfahren?« wiederholte sie feixend. »Prescott, das sagt in unserem Land kein Mensch mehr. Wir müssen echt dringend an Deinem Vokabular arbeiten.«
Ihr Begleiter schüttelte ungläubig den Kopf. »Da erklär mir mal einer die Deutschen«, grummelte er. »Warum sucht ihr neue Wörter, besser gesagt Bezeichnungen aus einer anderen Sprache, für etwas, das in Eurer eigenen doch klar benannt ist. Das verstehe ich nicht.«
»Du musst auch nicht alles verstehen, James!« grinste Amelie und zog an seinem Ärmel. »Komm jetzt! Wir
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