Die Tiefe einer Seele
stellen unsere Koffer ab, und dann geht es ab auf die Piste.«
Wenig später drehten sie ihre Runden auf der Bahn in Friedrichshain. Inliner und Schutzausrüstung hatten sie sich dort günstig leihen können. James hatte seit Ewigkeiten nicht mehr auf Rollschuhen gestanden. Was er anfangs auch nicht verbergen konnte.
»Du erinnerst mich irgendwie an einen betrunkenen Tanzbär«, neckte Amelie ihn, als er sich vorsichtig tapsend auf die ersten Meter des Parcours wagte.
»Betrunkener Tanzbär, ja?«, brummte James beleidigt zurück und zog das Tempo an. Mit dem Erfolg, dass er in der nächsten Kurve, die schneller kam, als er gedacht hatte, der Erdanziehungskraft nicht trotzen konnte und dem Asphalt sozusagen auf Augenhöhe begegnete. Wow, das tat weh. Zugegeben, er wälzte sich vielleicht ein bisschen wehleidiger am Boden, als es nötig gewesen wäre. Aber Amelies echte Sorge um ihn, ihre liebevolle Art, ihn auf Verletzungen hin zu untersuchen, reichte ihm als Rechtfertigung für sein Theaterspiel. Natürlich konnte er nicht ahnen, dass Amelie ihn sofort durchschaute, doch sie gönnte ihm seinen Auftritt und machte augenzwinkernd mit.
Danach überlistete James seine ungeschickte Motorik, und sie zogen gemächlich ihre Runden nebeneinander auf der Bahn. Schweigend und völlig in sich versunken. Dabei sich durchaus der Gegenwart des Anderen bewusst. Für beide fühlte sie sich ungewohnt an, diese Zweisamkeit. Einerseits wehrten sie sich dagegen, aber andererseits war es genau das, wonach sie sich sehnten.
»Komm, lass uns eine Pause machen!«, sagte James und hielt ihr seine Hand hin, die sie auch ohne Zögern ergriff. Sie rollten zu dem kleinen Kiosk am Rande der Strecke, bei dem auch ein paar Tische mit Klappstühlen aufgestellt waren.
»Willst Du etwas essen?«, fragte James und rückte ihr grinsend einen Stuhl zurecht.
»Machst Du Dich etwa lustig über mich?«, erwiderte Amelie wachsam und ließ sich seufzend nieder.
»Wie käme ich dazu? Ich stelle nur mit Erstaunen fest, dass Du jetzt schon wie lange….?« Er warf einen Blick auf seine Uhr, bevor er sich ebenfalls setzte. »Dass Du jetzt schon unfassbare vier Stunden jeglicher Nahrungsaufnahme entsagt hast. Muss ich mir Sorgen machen?« Seine Begleitung streckte ihm in einem Anflug von mutiger Verwegenheit die Zunge raus.
»Ach James, Du sorgst Dich doch ständig um mich, tu Dir also keinen Zwang an. Ich trinke derweil einen Pfefferminztee, einverstanden?«
Er nickte, erhob sich wieder und rollte zum Kiosk. Fünf Minuten später standen zwei Becher mit dampfenden Getränken auf dem kleinen Tisch. Tee für sie, Kaffee für ihn. Das Wetter war, trotz schlechter Prognose, erstaunlich gut an diesem Spätnachmittag im Mai. Die Sonne bescherte angenehme Temperaturen, nach der sportlichen Betätigung, war den beiden sogar ein wenig warm geworden. James zog seine Sweatshirt-Jacke aus und hängte sie sich lose um die Schultern. »Möchtest Du nicht Dein Halstuch ablegen?«
Amelie wich seinem Blick aus. »Äääh nein, das behalte ich lieber an. Heute Morgen hatte ich Halsschmerzen, ich will nicht riskieren, krank zu werden.«
Da war sie wieder, diese Distanz. James stellte erstaunt fest, dass er sich beinahe schon daran gewöhnt hatte. Dass Amelie ihm in einem Moment so nah war und im nächsten meilenweit entfernt.
»Okay, ich würde mich gerne mit Dir unterhalten, mehr über Dich erfahren. Aber ich weiß nicht so recht, wie ich das anfangen soll. Denn es gibt ja augenscheinlich Themen, über die Du partout nicht sprechen willst.«
»Das ist doch bei Dir nicht anders, James. Wer also im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!«
»Ja, ja, schon gut! Ich schlage Dir etwas vor. Ich stelle Dir Fragen, die Du mir beantwortest. Wenn Dir das Thema nicht zusagt, winkst Du ab, und dann darfst Du mich so lange ausquetschen, bis ich wiederum ablehne.«
Amelie schaute ihn zweifelnd an. »Hört sich nach einem ziemlich bescheuerten Plan an.«
»Mag sein, aber da wir beide unsere Grenzen nicht kennen, ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, sich an diese annähern zu können, ohne, dass das gleich wieder auf eine Katastrophe hinausläuft.«
»Und warum meinst Du, sollten wir uns überhaupt diesen Grenzen nähern, James Prescott?«
»Mmm, ganz sicher kann ich Dir das auch noch nicht sagen. Ich denke, es hat einen Grund, dass Dich das Schicksal vor mein Auto geweht hat und ich möchte herausfinden, um was es sich dabei handelt.«
»Boah, hast Du nicht
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