Die Tiefe einer Seele
Amelie wirkte überrascht.
»Ob ich Dich wiedersehen will? Amy Johannson, was ist das für eine seltsame Frage? Natürlich möchte ich das. Schließlich haben wir doch noch eine Arbeit zu erledigen, nicht wahr? Und falls Du Dich erinnerst, habe ich Dir gerade eben erst erklärt, dass Du mir wichtig bist. Und das nicht etwa, weil ich Schuldgefühle wegen des Unfalls hätte, oder Du für mich zu einer unverzichtbaren Beraterin bei meinem Projekt geworden bist.« Er langte nach ihrer Hand und umschloss sie mit seiner. »Nein, Du bist wichtig für mich, weil ich Deine unverschämten Frechheiten mir gegenüber mag, Deinen hin und wieder etwas seltsamen Humor oder Deine eiskalten Füße an meinen warmen Unterschenkeln. Und ob Du es glaubst oder nicht, auch Deine Geheimnistuerei, Deine Unnahbarkeit, Dein uriges Benehmen haben mich nachhaltig beeindruckt. Und ich freue mich darauf, diesen Wall, den Du um Dich herum aufgerichtet hast, aufzulockern und schließlich zum Einstürzen zu bringen.«
Amelie sah ihn mit großen Augen an, dann aber verzog sich ihr Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Ganz schön hochtrabende Worte für einen oberflächlichen Ami, Mr. Prescott. Fehlte nur noch, dass Du mein wahnsinnig tolles Aussehen, das Dich von der ersten Sekunde an umgehauen hat, mit auf das Trapez gebracht hättest. Glaub ja nicht, dass ich mich von Dir täuschen lasse. Du fliegst jetzt über den Teich und wirst mich in Schallgeschwindigkeit vergessen haben. Kein Problem, ich kann das sogar verstehen. In Amerika wartet sicher schon eine hochgewachsene Blondine, die zwar intellektuell auf der gleichen Ebene wie ein Weißbrot angesiedelt sein dürfte, aber das ist Euch Kerlen in der Regel ja sowieso egal.«
James lachte laut auf. »Mannomann, da läuft ja gerade mal wieder jemand zur Höchstform auf. So hab ich Dich am liebsten. Ich rekapituliere mal eben Deine Gemeinheiten: Du hältst mich für oberflächlich, nein, noch viel schlimmer, Du hältst alle Amerikaner dafür. Das ist ziemlich starker Tobak, junges Fräulein. Erst vor zwei Tagen hast Du mich gerügt, dass ich ein schlechtes Bild von meinen Landsleuten zeichne, jetzt tust Du es selbst. Ich würde das an Deiner Stelle nicht so laut äußern, Du weißt ja, unsere Geheimdienste haben ihre Augen und Ohren überall, und ehe Du Dich versiehst, sitzt Du in der Festung von Alcatraz.«
»Das Gefängnis auf Alcatraz ist schon lange geschlossen, mein Lieber!«
»Aha, wer war hier gleich der Klugscheißer, Miss? Außerdem war ich noch nicht fertig, also halt die Klappe! Du denkst also, dass in Amerika eine hochgewachsene Blondine ohne Hirn auf mich wartet? Weil Du wahrscheinlich glaubst, dass eine solche genau meinem Beuteschema entspricht? Noch vor wenigen Tagen hättest Du damit gar nicht so falsch gelegen. Zumindest, was das Aussehen betrifft. Auf die Möglichkeit einer intelligenten Unterhaltung habe ich entgegen Deiner Annahme allerdings immer großen Wert gelegt. Diesen Aspekt meines alten Beuteschemas hast Du zum Beispiel von Anfang an erfüllt, obwohl Du extrem zickig warst bei unserer ersten Begegnung.« James nahm nun auch ihre andere Hand in seine. Sein Blick suchte den ihren. »Was hingegen erstaunlich ist, dass ich neuerdings rotes, statt blondes Haar anziehend finde. Dass es mir nichts ausmacht, dass eine Frau mir gerade mal bis zur Brust reicht und höchstens das Gewicht einer Feder hat. Wenn sie mich nur einmal mit ihren funkelnden, grünen Augen ansieht, oder wenn sie ……so geile Beine hat wie Du!«
Amelie klappte der Mund auf. »Hast Du gerade geile Beine gesagt, James Prescott? Ich glaube, es hakt! Was ist das denn für eine Ausdrucksweise?«
James musste erneut lachen. »Beschwerst Du Dich nicht sonst immer darüber, dass mein Deutsch etwas altbacken ist? Kaum verwende ich mal einen Eurer neueren Begriffe, ist es auch wieder verkehrt. Das ist so typisch für Dich, Amy, und ein weiterer Grund, warum ich Dich mag. Deine Sprunghaftigkeit ist manchmal anstrengend, jedoch absolut spannend, man weiß nie, was als Nächstes kommt. Aber Du hast mich schon wieder unterbrochen. Das ist sehr unhöflich, Miss Johannson! Du behauptest, ich würde Dich in Schallgeschwindigkeit vergessen. Das verletzt mich. Wirklich! Wie soll ich es Dir am besten erklären? Mmm, der Vergleich ist jetzt vielleicht nicht so passend, dennoch trifft er irgendwie zu. Dich auf diesem Deutschlandtrip kennenzulernen ist, als wenn ich mir in Afrika Malaria eingefangen hätte. Oder sonst einen
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