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Die Tiefe einer Seele

Die Tiefe einer Seele

Titel: Die Tiefe einer Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Dakota
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wenig Talent, Socken. Ebenso ihre zweite Leidenschaft neben dem Schreiben hatte sie aufgegeben, das Gärtnern. Einst hatte die Familie den schönsten Garten der ganzen Insel gehabt, nun wucherten Unkraut und Dornen, egal wohin man schaute. Lange hatte es gebraucht, bis sie sich getraut hatte, ihre Mutter danach zu fragen. »Mach Dir keine Sorgen«, hatte sie gesagt. »Ich fang schon wieder an!« Doch das war nie geschehen. Im Gegenteil, diesen Teil ihres Lebens hatte sie scheinbar abgehakt.
    Und dann ihre Brüder! Wehmütig dachte sie an die Zeiten, als sie einfach nur normale Geschwister gewesen waren. Solche, die einander neckten, wo es nur ging. Die stritten, dass die Gemäuer des alten Inselhauses in ihren Fundamenten erbebten. Die zusammenhielten, wenn es mal etwas vor den Eltern zu verbergen gab. Ganz normal eben! Seit dem 15. März 2003 war diese Normalität nur noch eine bittersüße Erinnerung. Seitdem gab es in ihrem Leben diese vier Jungs, die denselben Familiennamen wie sie trugen, die es aber nicht wagten, ihr in die Augen zu schauen. Die sie behandelten, als wäre sie aus Glas. Und was am schlimmsten war, die wahlweise erröteten oder erblassten, wenn sie in ihrer Nähe lachten und ausgelassen waren.
    Ja, sie hatte sterben wollen an diesem Tag vor fünf Jahren. Weil sie gewollt hatte, dass sie endlich verschwanden. Diese dunklen Gedanken! Dass ihr diese qualvolle Last von den Schultern und vom Herzen genommen wurde. Keine Sekunde hatte sie über die Konsequenzen nachgedacht. Wie auch? Sie war doch gerade 14 Jahre alt gewesen. Heute sah sie da um einiges klarer.
    Ihr Kopf hatte sich damals angefühlt wie ein Ameisenhaufen, ihre Gefühle hatten Achterbahn mit ihr gefahren, sie hatte nicht mehr atmen können. Erst als die Entscheidung gefallen war, erst als sie unbemerkt das Kabel aus dem Büro des Hausmeisters entwendet hatte, da war sie frei gewesen. Frei, voller Ruhe und einem beseelten Frieden. Glücklich! Sie hatte ihren irdischen Qualen ein Ende setzen wollen, doch statt der ersehnten Erlösung, hatte sie lebenslang bekommen. Lebenslange Gewissensbisse, lebenslange Schuld, lebenslange Scham.
    Jetzt saß sie hier in dieser eisig kalten Kuhle in den Dünen. 19 Jahre alt an Fleisch und Blut, aber im Kopf alt, tattrig und aufgebraucht wie eine 90-jährige Greisin. Desillusioniert, weil wissend, dass sie es versaut hatte. Ihr Leben! Auf ganzer Linie! Dessen war sie sich seit langem bewusst, ziemlich genau seit drei Jahren.
    Bis dahin hatte sie es versucht. Hatte es wirklich und wahrhaftig versucht. An sich gearbeitet, jede zur Verfügung stehende Therapie gemacht, ob nun anerkannt oder das Produkt einer Quacksalberei. Sie hatte es schaffen wollen. Ihrer Familie zuliebe. Aber nach und nach hatte sie verstanden, dass es keinen Weg für sie gab. Keinen, außer dem einen. Diesem, der sie und letztendlich auch die Menschen, die sie liebte, befreien würde.
    Diesmal wollte sie alles richtig machen. Nicht nochmal eine übereilte Aktion, sondern ein bis ins Detail durchdachter Plan, der sie sicher ans Ziel bringen würde.
    Mit zitternden Händen griff sie in die Tasche und kramte dieses Schächtelchen hervor. Jenes, das ihr Freifahrtsschein war in eine hoffentlich bessere Welt.
    36 kleine, weiße Tabletten, die sie aus dem Nachtschränkchen ihres Vaters entwendet hatte. Monat für Monat eine. Drei Jahre lang. Ob sie sich schäbig dabei vorgekommen war? Natürlich, nichts anderes konnte man empfinden, wenn man den eigenen Vater bestahl. Aber dann hatte sie daran denken müssen, warum er diese Schlaftabletten verschrieben bekommen hatte. Er, der vor dem 15. März 2003 problemlos einen dreistündigen Mittagsschlaf zu Füßen eines lärmenden Blasorchesters hätte machen können, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. »Danach« hatte sich auch das geändert und er hatte regelmäßig diese Medikamente eingenommen, um überhaupt ein paar Stunden Ruhe zu kommen. Das hatte ihr die Skrupel genommen und so hatte sie diese kleine Sammlung ohne weiteres anlegen können. Hatte sich gezwungen, geduldig zu sein, um nicht aufzufallen. Nur jeweils eine an sich zu nehmen, obwohl sie diese ganze Scheiße doch lieber heute als Morgen über die Bühne gebracht hätte. Hatte alle in Sicherheit wiegen wollen, was ihr auch vorzüglich gelungen war. Niemand hatte Verdacht geschöpft, und jetzt war sie endlich hier, kurz davor, das Finish endgültig zu durchschreiten.
    Sie legte das Schächtelchen vor sich in den Sand und holte eine kleine

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