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Die Tiefe einer Seele

Die Tiefe einer Seele

Titel: Die Tiefe einer Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Dakota
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Flasche Cola light aus ihrer Tasche. Mit etwas Mühe gelang es ihr trotz bebender Hände, sie zu öffnen. Danach versenkte sie eine Tablette nach der anderen in der braunen Flüssigkeit und wurde immer ruhiger. Die Würfel waren gefallen, es gab kein zurück mehr. Als die letzte Tablette aus ihren Fingern in den schmalen Flaschenhals glitt, atmete sie tief durch. Sie nahm den Deckel, verschloss die Flasche wieder und schüttelte sie ein wenig. Nicht zu viel, sie wollte ja nicht, dass sie wild wurde und dass dieses, für sie so kostbare Gut gleich unkontrolliert in die Umwelt versprüht werden würde.
    Dann stellte sie die Cola zur Seite. Denn es gab noch eines zu tun. Etwas, das sie beim letzten Mal auch falsch gemacht hatte. Sie konnte, sie durfte nicht ohne Gruß gehen. Deswegen griff sie erneut in ihre Tasche und zauberte einen Block und ein Bleistift hervor.
     
    Liebe Mama, lieber Papa!
    Ich weiß, dass das, was ich Euch heute zumute, eigentlich unzumutbar ist. Was sage ich, es ist nicht eigentlich, sondern ganz sicher unzumutbar. Ich möchte, dass Ihr wisst, dass mir das klar ist. Aber - ja, jetzt kommt das berühmte »Aber« - ,mir bleibt keine andere Möglichkeit. Mein Herz und mein Kopf sind schwer, so unendlich schwer. Nun schon über fünf Jahre lang. Warum das so ist, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich es nicht länger ertragen kann und will, weil dadurch nicht nur mein Leben nicht mehr lebenswert ist, sondern Eure gleich mit. Bitte verzeiht, dass Ihr durch mich so viel mitmachen musstet in den vergangenen Jahren. Das ist nie meine Absicht gewesen. So gerne wäre ich wieder Euer kleines und unbeschwertes Mädchen, aber man kann die Uhr nun mal nicht zurückdrehen. Ich möchte Euch sagen, dass, wenn ich nun gehe, ich absolut im Reinen mit mir bin. Dass niemand eine Schuld trifft, schon gar nicht Euch. Inständig hoffe ich, dass Ihr mich versteht, dass Ihr mir nicht zürnt, und dass Ihr eines Tages mit einem Lächeln auf dem Gesicht an mich zurückdenken könnt.
    Ich gehe ohne Angst, das sollt Ihr wissen. Und ich glaube daran, dass wir uns wiedersehen. Irgendwann, an einem anderen Ort.
     
    Ich hab‘ Euch sehr, sehr lieb.
     
    Eure Amelie
     
    P.S.: Passt auf meine Brüder auf und sagt ihnen, dass ich über sie wachen werde.
     
    Zufrieden riss sie das Papier vom Block, knickte es und steckte es in ihren Anorak. Dann griff sie ein weiteres, ein letztes Mal in ihre Tasche und holte ihren MP3-Player hervor. Sekunden später erklang durch die Ohrstöpsel das Wiegenlied von Johannes Brahms. Das hatte ihr ihre Mutter immer vorgesungen, als sie ein kleines Kind gewesen war. So würde sie einschlafen können. Behütet und sicher. Als sie die Flasche nahm und trank, begann es zu schneien. Wild tanzten die Flocken im kalten Novemberwind, in der Ferne donnerte die Brandung der aufgebrachten Nordsee, aufgeschreckt flatterten klagend kreischende Möwen durch die grauen Weiten des herbstlichen Himmels. Nichts, was sie jetzt noch kümmern sollte. Nichts, was sie jetzt noch kümmern musste!
     

Kapitel 19
     
    15. Mai 2013 – Berlin
     
    »Du fliegst zurück in die Staaten?« Amelies Stimme war kaum vernehmbar, kraftlos und ein bisschen ängstlich.
    James steckte das Handy wieder in seine Hosentasche und nickte mit ernster Miene. »Ja, ich muss sofort los«, antwortete er angespannt. »Mein Vater ist ins Krankenhaus eingeliefert worden wegen akuter Herz-Rhythmus-Störungen. Er hatte vor einigen Jahren einen schweren Herzinfarkt, an dem er beinahe gestorben wäre. Diesmal ist es zwar nicht ganz so dramatisch, dennoch möchte meine Mutter, dass ich umgehend nach Hause komme.«
    »Du hängst sehr an ihr, nicht wahr?«
    »Ja, das tue ich, Amy. An meiner Mom, wie auch an meinem Dad. Wir haben zurzeit ein paar Differenzen, aber der Gedanke, dass es ihm nicht gut geht, dass er wohlmöglich …« James verstummte und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
    »Hey«, sagte Amelie leise und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Das wird schon wieder. Ganz bestimmt!«
    »Ja, das will ich hoffen. Verdammt, immer wenn so etwas passiert, wird einem doch erst bewusst, wie wenig Zeit man miteinander hat und wie dämlich es ist, sich dann auch noch zu streiten.«
    »Warum habt Ihr Euch denn gestritten?«
    James blickte sie nachdenklich an. »Ach, es hat mit der Firma unserer Familie zu tun. Eine etwas längere Geschichte, die ich Dir erzählen könnte, wenn wir uns wiedersehen.«
    »Wiedersehen? Ja, willst Du das überhaupt?«

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