Die Tiefe einer Seele
1894 – 1915
William Brighton Prescott II. 1915 – 1940
William Brighton Prescott III. 1940 – 1988
William Brighton Prescott IV. seit 1988
Designierter Nachfolger ist der drittgeborene Sohn von William B. Prescott IV. und dessen Frau Silvia – James Anthony Prescott, geboren 1978.
Amelie schaute mit ungläubiger Miene und mit aufgeklapptem Mund auf das iPad. Die absolut unfassbare Historie von Prescott Publishing hatte sie beinahe vom Sockel gehauen, aber der letzte Satz war es, der ihr endgültig den Rest gab. James sollte tatsächlich das Unternehmen von seinem Vater übernehmen?
Was ist denn dann bitte sein Problem? Ich verstehe das nicht, James ist wie geschaffen für diesen Job. Und es ist doch auch eine Ehre, eine solch ungewöhnliche Firma weiterführen zu dürfen. Dass er das nicht will, passt so gar nicht zu ihm. Jedenfalls nicht zu dem James, den ich kennengelernt habe. Irgendetwas stimmt da doch nicht.
Stirnrunzelnd verließ Amelie die Homepage von PP und kehrte zur Suchmaschine zurück. Nachdem sie kurz überlegt hatte, tippte sie hastig einen neuen Suchbegriff ein: »James Anthony Prescott – Nachfolge«. Zuverlässig spuckte das Netz wieder unzählige Informationen aus. Amelie klickte einen Link an, der sie zu einem Artikel der New York Times führte.
Wird James Anthony Prescott das Familien-Unternehmen weiterführen?
Darüber spekuliert in diesen Tagen die gesamte Verlagsbranche des Kontinents. Bereits 2003 hatte die Familie Prescott kommuniziert, dass entgegen der bisherigen Tradition nicht der erstgeborene Sohn in der Nachfolge des Vaters den Konzern künftig leiten soll, sondern stattdessen sein jüngerer Bruder James. Dieser wurde zunächst auch systematisch auf seine neue Aufgabe vorbereitet. Doch seit dem tragischen Unfalltod seines dreijährigen Sohnes im November 2006 hat James Anthony Prescott dem Unternehmen den Rücken gekehrt. Er arbeitet seitdem als freier Journalist und schreibt Reiseführer……….
Amelie verschwammen die Worte vor den Augen. Fassungslos schlug sie die Hände vor das Gesicht.
Oh Gott, nein! Wie schrecklich! Sein Kind ist gestorben. Nein, …oh Gott, nein!
Kapitel 24
25. November 2006 – Washington D.C.
»Daddy, Liam will spielen!« Der kleine, schwarzhaarige Fratz turnte nun schon seit einer halben Stunde zwischen seinen Beinen herum, zupfte an seinem Pullover oder kniff ihm in die Waden. Kein Wort hatte James in dieser Zeit geschrieben, obwohl er doch so dringend für seinen Vater die Bilanzen des letzten Quartals zusammenschreiben musste. Und da wartete noch ein neues Manuskript auf ihn, das ihm Veronica Baines, die Cheflektorin von »Chances« zugeschickt hatte mit der Bitte um Prüfung. Diesmal war es ein Werk aus der Feder eines ehemaligen Drogenabhängigen, der über zehn Jahre lang entweder im Knast gesessen oder in der Gosse gelegen hatte. Er hatte den Dreh gekriegt, und wie er das geschafft hatte, das beschrieb er in dem vorliegenden Manuskript. James hatte nur kurz die ersten Seiten überflogen, dennoch hatte er sofort erkannt, dass die Geschichte gewaltiges Potential hatte, und es juckte ihm in den Fingern, sie ganz zu lesen. Das war das, was er an seiner Arbeit bei PP am meisten liebte. Er hoffte zutiefst, dass ihm die Zeit dafür immer bleiben möge, auch wenn er eines Tages die Leitung des Konzerns übernehmen würde. Aber das war noch weit hin. In der Gegenwart hatten ihn zunächst nur diese staubtrockenen Bilanzen zu interessieren, sonst würde sein alter Herr ihm früher oder später aufs Dach rücken, so viel war sicher.
Zu dumm, dass gerade Fashion Week war in D.C., ein Muss für Anabel, und so hatte sie ihm kurzfristig den Filius aufs Auge gedrückt. James hatte sich daraufhin entschlossen, von zu Hause aus zu arbeiten. Eigentlich liebte er es, Zeit mit seinem Sprössling zu verbringen, diese Momente waren eh viel zu rar geworden, aber heute konnte er es so gar nicht gebrauchen, dass er seinen Junior beaufsichtigen sollte. Seufzend rollte er mit seinem Bürosessel zurück und griff nach dem Kleinen. »Liam, was soll das denn?«, redete er sachte auf den Jungen ein und hob ihn auf seinen Schoß. »Du weißt doch, dass Daddy arbeiten muss. Willst Du nicht noch ein bisschen mit den Legosteinen spielen?«
Der Knirps schüttelte energisch mit dem Kopf. »Nein, will nicht. Nur mit Daddy.«
James stöhnte auf. »Sorry Schatz, es geht einfach nicht.« Kurz überlegte er und hatte dann eine
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