Die Tiefe einer Seele
Idee. Grinsend erhob er sich und trug seinen Sohn, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, zur Fensterfront. Geschwind zog er einen Stuhl herbei und positionierte ihn vor einem der hohen Fenster. Darauf stellte er seinen Filius und zeigte nach draußen. »So, Du Knirps! Jetzt musst Du genau aufpassen, welche Autos da unten herfahren. Vielleicht ist ja schon bald Mamis dabei. Sie wollte Dir doch etwas mitbringen, oder?«
Liam schaute ihn mit weitaufgerissenen Augen an und nickte aufgeregt. Wortlos stützte er seine Händchen auf die Fensterbank und presste sein Näschen gegen die Scheibe. James lächelte triumphierend, und auf seiner Stirn schien ein riesiges »Strike« zu leuchten, so zufrieden war er mit sich selbst. Eilig kehrte er an seinen Schreibtisch zurück und machte sich an die Arbeit. Doch obwohl der Kleine jetzt Ruhe gab, verstand er es dennoch, seinen Erzeuger abzulenken. Immer wieder blickte dieser zu dem kleinen, süßen Jungen herüber und sein Herz drohte zu bersten vor überschwänglicher Liebe und väterlichem Stolz. Keine Sekunde der letzten drei Jahre hätte er missen wollen. Wobei sich seine Begeisterung sich zunächst in Grenzen gehalten hatte, als Anabel ihm damals von der Schwangerschaft berichtete. Nicht, weil er grundsätzlich gegen Kinder war, das Problem lag eher darin, dass er nicht vorgehabt hatte, mit Anabel eine Familie zu gründen. Jedenfalls nicht so bald.
Sie waren sich auf dem Collage begegnet, gleich im ersten Jahr. Und hatten sich verliebt. Anabel Fletcher war das hübscheste Mädchen auf dem Campus gewesen, hochgewachsen mit langen blonden Locken und Beinen, die endlos erschienen und einem Mann schon Schweißperlen auf die Stirn treiben konnten. Von vielen war sie umworben worden, aber er hatte das Rennen gemacht. James Anthony Prescott hatte das Herz der unnahbaren Blondine und Tochter eines stinkreichen Industriellen erobert und hatte dabei ganz nebenbei auch noch eine gute Partie aufgetan. So hatte es jedenfalls sein alter Herr damals gesehen. Denn das war für William B. Prescott IV. das einzig Positive am Fall Anabel Fletcher, wie er es nannte, gewesen.
James runzelte die Stirn. Sein Vater hatte seine Freundin vom ersten Tag an nicht leiden können, was seiner eigenen Verliebtheit einen riesigen Dämpfer verpasst hatte, zu wichtig war ihm die Meinung seines Erzeugers. Dennoch war er mit Anabel zusammengeblieben, auch noch nach seinem Auslandssemester in Deutschland. Auf ihre Art war sie ein sehr lustiger Mensch, und er konnte mit ihr lachen. Außerdem war der Sex mit ihr ohne Zweifel gut, mehr als gut sogar. Natürlich hatte James gewusst, dass das nicht unbedingt ausreichend für eine dauerhafte Beziehung sein würde, aber er hatte das beiseite gewischt, schließlich war er auch nur ein Mann und wollte sein Leben genießen. Dann wurde Anabel schwanger und stellte James damit vor eine Entscheidung. Nein, eigentlich hatte es damals nicht wirklich etwas für ihn zu entscheiden gegeben. Sie trug sein Fleisch und Blut unter dem Herzen, somit blieb ihm gar keine andere Wahl, als zu ihr zu stehen und aus ihr eine ehrbare Frau zu machen. James grinste.
Mein Gott, wie sich das anhört, Prescott, aber im Grunde genommen, war es doch genau so!
Die Heiratspläne waren vom Rest der Familie mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Seine Geschwister hatten zwischenzeitlich den Argwohn des Vaters Anabel gegenüber komplett übernommen, Ruben ging ihr sogar ganz aus dem Weg. Einzig und allein Silvia Prescott nahm sich seiner zukünftigen Frau auf das Herzlichste an. Wohl auch, weil sie sich wahnsinnig darauf freute, Großmutter zu werden, obwohl sie, nachdem James ihr diese Nachricht überbracht hatte, sofort losgestiefelt war und sich einen sehr gewagten Bikini in Geparden-Optik zugelegt hatte.
Die Hochzeit des Verleger-Sohnes mit der Industriellen-Tochter war das gesellschaftliche Großereignis des Jahres 2003 in der amerikanischen Hauptstadt. Aber wenn James daran zurückdachte, erinnerte er in erster Linie, dass er den ganzen Tag über genervt gewesen war und sich am Ende sogar mit seiner frischangetrauten Frau gestritten hatte. Erst eine Woche später hatten sie sich wieder zusammengerauft und die Hochzeitsnacht intensiv und lautstark nachgeholt.
Kurz vor der Geburt des Kleinen hatte sein Vater ihm die künftige Leitung von Prescott Publishing angetragen. James hatte voller Stolz zugesagt und versprochen, den Konzern am Tage seines 35. Geburtstages zu übernehmen.
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