Die Time Catcher
tust du da, Caleb? Komm rüber und hilf mir, die Vitrine zu öffnen.
Ein berechtigtes Anliegen. Der Catch der Vase ist definitiv ein Job für zwei Personen.
Doch ob berechtigt oder nicht. Im Moment kann ich nichts anderes tun, als neben meinem Rucksack auf dem Boden zu liegen und versuchen, wieder Atem zu schöpfen.
Als das Licht angeht, stürmt uns der Vater des Jungen entgegen. Er nimmt seinen Sohn auf den Arm und drückt ihn an sich. Im nächsten Moment beteiligt sich auch die Mutter an dem Umarmungsfestival. Ich setze mich auf und sehe ihnen schweigend zu.
Abbies Stimme kehrt zurück. Los, raus hier!
Ich, ich kann nicht, antworte ich.
Ich weiß, dass es lächerlich klingt, aber etwas anderes, etwas Logischeres, kommt mir in diesem Moment nicht in den Sinn. Natürlich weiß auch ich, dass wir jetzt abhauen sollten. Der Junge ist gerettet, und vermutlich bin ich der einzige Mensch weit und breit, der nicht in der Lage ist, nun glücklich und unbeschwert weiterzuleben. Doch ob logisch oder nicht – meine Beine wollen sich einfach nicht in Bewegung setzen. Also bleibe ich auf dem Boden sitzen und sehe zu, wie sich die Familie in den Armen liegt.
Am Rande meines Bewusstseins ballen sich Gewitterwolken zusammen. Ich habe gerade etwas sehr Schlimmes getan. Ich habe eine eiserne Regel verletzt. »W ährend einer Mission ist es strengstens verboten, mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu treten, falls dies nicht unumgänglich ist, um den Catch auszuführen«, heißt es im Handbuch für Agenten von Edles für die Ewigkeit .
Ich muss schlucken. Onkel nimmt es alles andere als gelassen auf, wenn eine seiner Regeln missachtet wird. Falls er es herausfindet, muss ich zumindest mit einer Strafexpedition in die Wüste rechnen. Das Wort allein beschert mir eine Gänsehaut, denn es handelt sich tatsächlich um eine trostlose Ödnis. Falls einem die quälende Hitze nicht den Garaus macht, übernehmen das die Schlangen und Skorpione. Ich wische mir eine Schweißperle von der Stirn und stehe im selben Moment auf, in dem die große Familienumarmung ein Ende findet.
Eine kleine Menschenmenge ist zusammengelaufen. Eine der Umstehenden geht zum Vater des Jungen und teilt ihm etwas mit. Sie zeigt auf das Geländer und dann auf mich. Er dreht sich um, sieht mich an und kommt mir entgegen.
Ich sollte jetzt weglaufen. Letzte Chance!, schreit mein Gehirn. Oder ist es Abbie, die mir per Gedankenübertragung etwas zuruft? Wie auch immer, ich ignoriere die Warnung und bleibe wie angewurzelt stehen. Der Vater streckt seine Hand aus und ich nehme sie in meine. Sein Händedruck ist kräftig und warm.
»D anke, dass du unseren Sohn gerettet hast«, sagt er mit Tränen in den Augen. »I ch bin Jim. Jim Rushton. Dies ist meine Frau Diane und das ist Ben.«
Auch Diane sieht erschüttert aus. Der Einzige, der trockene Augen hat, ist Ben. Er starrt mich an, als wäre ich Superman persönlich, der direkt vom Cover eines Comics heruntergesprungen ist.
»I ch bin Ro… Caleb.« Ich wundere mich selbst darüber, dass ich meinen wirklichen Namen nenne.
Für einen Moment stehen wir alle verlegen da, bis Ben an der Hand seiner Mutter zieht und fragt: »M om, können wir mit Caylid zusammen Eis essen gehen? Es ist doch mein Geburtstag.«
»I ch weiß nicht, Ben«, antwortet Diane. »I ch denke, er muss zu seiner eigenen Familie zurückkehren … aber wir könnten sie natürlich fragen, ob es möglich wäre.«
Ben lässt die Hand seiner Mutter los, macht einen Schritt auf mich zu, wirft einen Blick auf seine Mickymaus-Armbanduhr und sagt mit ernster Stimme: »C aylid, hast du Zeit, mit mir und meiner Mom und meinem Dad ein Geburtstagseis zu essen? Ich bin vier Jahre alt, aber ich werde gleich fünf … wie lange noch, Daddy?«
Jim nimmt Bens Handgelenk und antwortet: »I n drei Minuten.«
»I n drei Minuten«, wiederholt Ben.
Nein, du hast absolut keine Zeit, du Superheld, höre ich die früher so sanfte Stimme meiner Diebespartnerin. Unsere Zusatzzeit ist schon angebrochen, und wenn wir nicht sofort unseren Auftrag erledigen, dann kriegen wir tierischen Ärger mit du weißt schon wem.
Meine Gedanken rasen. Unsere Zusatzzeit beträgt eine Viertelstunde, drei Minuten davon sind bereits abgelaufen, und wir werden ein paar weitere Minuten benötigen, um ins Jade Café zu gelangen. Ein schnelles Eis würde vielleicht fünf Minuten in Anspruch nehmen, plus zwei Minuten für den Rückweg. Blieben insgesamt noch drei Minuten. Doch was ist, wenn
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