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Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLYTHE GIFFORD
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verkündete ein Hahn den herannahenden Tag, doch neben ihr im Bett schlief Agnes ungestört und schnarchte leise in ihrer Trunkenheit.
    Auch Solay fühlte sich ein wenig trunken, vielleicht vom Wein oder vom süßen Mandelkuchen.
    Oder vielleicht auch von seinem Kuss. Noch immer brannte er auf ihren Lippen und hatte sich ihrem Gedächtnis eingeprägt, versprach etwas, auf das sie nicht hoffen durfte, vor allem nicht von einem Mann, der sie hasste.
    Sie war jetzt hellwach und drehte sich herum. Nach ihrem Wunsch hatte der Narrenkönig gefragt. Sie wünschte sich so einfache Dinge. Sicherheit. Ohne Hohn angesehen zu werden. Nachts in Frieden zu schlafen, ohne sich sorgen zu müssen, ob sie am nächsten Tag genug zu essen hatten. Ihre Mutter lächeln zu sehen und ihre Schwester lachen.
    Und in dieser Nacht wünschte sie sich ihn.
    Sie verließ das Bett und nahm ihren Umhang auf, während Agnes weiterschlief. Dann ging sie über den Innenhof und stieg wieder auf das Dach des Turmes. Schon als Kind hatte sie gern zugesehen, wenn die Sonne aufging. Jedes Mal konnte sie dann das Leben neu beginnen. In diesen wenigen Momenten, wenn das erste Tageslicht die Erde berührte, musste sie niemandem gefallen, niemand anders sein, nur sie selbst.
    Hier, während der Winterwind sich legte und der Leben spendende Lichtball sich ankündigte, konnte sie daran glauben, dass die Sterne das Leben der Menschen regierten und dass sie wirklich eine Tochter der Sonne war.
    Plötzlich hörte sie Schritte, seine Schritte, und es überraschte sie, dass sie nach diesen wenigen Tagen schon seinen Gang erkannte. Als er die Plattform erreichte, setzte sie ein Lächeln auf und drehte sich um. Sein Anblick machte sie schwindeln.
    Vage Hoffnung keimte in ihrem Herzen. „Hat der Narrenkönig Euch wieder zu mir geschickt?“
    Kerzengerade stand er da, mit gefalteten Händen, als könnte er dadurch verhindern, sie zu berühren. „Wir müssen reden.“ Seine Worte klangen gezwungen. „Über diesen Kuss.“
    Der Kuss. Das Wort kam von Lippen, die sie weich und verlangend gespürt hatte. Die Erinnerung ließ sie erröten, und ihr wurde heiß. „Was gibt es da zu sagen?“
    „Ich hätte Euch nicht zwingen sollen.“
    So bedauerte er jetzt seine Leidenschaft. Nun, sie würde ihre Schwäche für ihn nicht verraten, am Ende würde er das nur gegen sie verwenden. Sie zuckte die Achseln. „Es ist Weihnachtszeit. Es hat nichts zu bedeuten.“
    „Wirklich?“
    Mit seiner Frage trieb er sie in die Enge. Wenn sie zugab, wie sehr dieser Kuss sie aufgewühlt hatte, wäre sie wehrlos. Oh Mutter, wie schütze ich mich vor dem Begehren?
    „Natürlich nicht.“ Sie sagte es leichthin, bemüht, die Wahrheit zu verbergen: dass sie dahingeschmolzen war unter seinen Lippen und sich selbst kaum mehr erkannt hatte. „Ihr nahmt nicht mehr, als ich Euch anbot.“
    „Nun denn …“ Er nickte, beendete damit den Satz und den Zwischenfall. Er entspannte sich, doch er kam nicht näher. „Was treibt Euch aufs Dach, Lady Solay? Es ist zu spät, um die Sterne zu bewundern.“
    „Ich bin gekommen, um die Sonne anzusehen.“
    Sie war dankbar, dass wieder etwas Wind aufkam und seinen Duft von ihr wegtrieb. Ein Schritt mehr nur, und sie könnte ihn berühren.
    „Die Sonne hat den tiefsten Punkt erreicht, Lady Solay. Sie entzieht der Welt ihr Licht.“
    Seine Worte erinnerten sie an die Ängste ihrer Kindheit. Damals, als ihr Leben sich geändert hatte, hatte sie manches Mal darauf gewartet, dass die Sonne aufging, ohne sicher zu sein, dass das wirklich geschehen würde. „Und doch war es um diese Zeit, in der dunkelsten Stunde auf Erden, dass ihr strahlendster Sohn geboren wurde.“
    „Sprecht Ihr von unserem Heiland oder vom König?“
    Sie lächelte. Ihr war dieser Vergleich noch nicht aufgefallen, aber es könnte eine schmeichelnde Formulierung für die Lesung beim König sein. „Von beiden.“
    „Die Sonne geht jeden Morgen auf.“ Er lehnte sich an die Brüstung des Wehrgangs und sah sie an. „Warum ist es Euch wichtig, das zu beobachten?“
    „Warum? Seht selbst!“
    Er drehte sich um.
    So kurz vor Sonnenaufgang war der Himmel in ein Meer von Farben getaucht – Purpur am Horizont, dann blaue Streifen und schließlich strahlendes Rosa. „Der Himmel ist verlässlicher als Eure Gerechtigkeit. Die Sonne geht jeden Morgen auf.“ Sie flüsterte nur noch. „Selbst in unseren dunkelsten Stunden.“
    „Hattet Ihr viele davon?“
    „Genug.“ Mehr als dunkle Stunden.

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