Die Tochter der Dirne
fragt Ihr das?“
Er würdigte das nicht einmal einer Antwort. „Ich dachte nicht, dass er zu den Männern gehört, die sich von Küssen überreden lassen.“
Sie errötete nicht, was er als Zeichen deutete, dass sie wohl doch nicht versucht hatte, den Lieblingsdichter des Königs mit körperlichem Einsatz zu überreden. Seltsamerweise fühlte er sich dadurch erleichtert.
„Es war seine Idee, nicht meine. Er sagte mir, er wolle etwas Neues versuchen, und wenn dem König das Gedicht nicht gefiele, dann würde er es beiseitelegen. Da es dem König jedoch sehr gut gefiel, wage ich zu behaupten, dass er es beenden und dem König dann davon erzählen wird, und sie beide werden es für einen guten Witz halten.“
„Diesmal muss ich also für John Gower ein Geheimnis bewahren, nicht für Euch?“
Hinter dem flehenden Blick ihrer Augen sah er Unwillen. Es musste sie ärgern, ihn um seine Mithilfe zu bitten. „Ihr werdet doch die Überraschung nicht verderben, nur weil die Verse für Euch nicht schmeichelhaft sind?“
Erschrocken stellte er fest, dass er daran gar nicht gedacht hatte. „Ihr habt Gower unrecht getan, nicht mir. Ihr schießt mit geborgten Pfeilen auf die Rechtskundigen, aber Ihr wisst gar nichts von mir.“
„Ich weiß, dass Ihr dem Parlament behilflich wart, den Kanzler des Königs aufgrund erfundener Vorwürfe seines Amtes zu entheben.“
„Die Vorwürfe waren begründet.“
„Nicht genug, wie ich sehe.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Earl of Suffolk, der mit dem König lachte. „Heute ist der Mann bei uns.“
Justin biss die Zähne zusammen. „Der König entließ ihn, nicht das Parlament.“ Ein paar Wochen lang hatte Richard den Mann eingesperrt, dann, nachdem das Parlament auseinandergegangen war, hatte er ihn freigelassen, als hätte es die Entscheidung nie gegeben. Als würde das Recht nichts bedeuten.
Sie flüsterte jetzt. „Ihr sagt, Euch ist die Wahrheit wichtig. Aber andere sagen, Euch ist es wichtiger, jene zu zerstören, die dem König am nächsten stehen.“
„Und Ihr lasst andere darüber entscheiden, was Ihr denkt?“
Sie antwortete nicht, sondern lächelte dem Earl of Redmon zu, der auf der anderen Seite des Raumes stand. Der Mann grinste breit, und sie trat einen Schritt von Justin weg.
„Ich hoffe, Ihr zieht ihn nicht als Gemahl in Erwägung.“
Sie sah sich weiter im Raum um und blickte ihn nicht an, als sie antwortete. „Als Ihr eine Heirat vorschlugt, sagtet Ihr nichts davon, dass Ihr die Wahl billigen müsst. Tatsächlich sagtet Ihr, nur der König könnte darüber entscheiden.“
Einer der jungen Burschen gegenüber zwinkerte ihr zu, stieß dann seinen Nachbarn mit dem Ellenbogen an, und sie schenkte ihm ein vielsagendes Lächeln.
Das Grinsen des Jungen ärgerte ihn. „Der da sieht Euch nicht als mögliche Ehefrau an“, murmelte er.
„Woher wisst Ihr das?“
„Weil ich ein Mann bin.“
„Nun, der Earl of Redmon tut es.“ Aus ihren Worten hörte er Verärgerung heraus.
„Haben Euch das die Sterne verraten?“
„Er wurde im Zeichen des Steinbocks geboren. Wir sollten gut miteinander zurechtkommen.“
„Haben Euch die Sterne auch verraten, dass er alt ist, Geld und Söhne besitzt und drei tote Frauen hat? Er braucht nur jemanden für sein Bett. Das sollte Euch nicht schwerfallen.“
Sie hielt den Atem an, aber statt Befriedigung empfand er nur Bedauern. „Ihr werft mir vor, Erwartungen nicht zu erfüllen, die Ihr selbst festgesetzt habt. Was erwartet Ihr von mir, Lord Justin?“
„Nur, was ich von jedem erwarte. So zu sein, wie Ihr wirklich seid.“
Ihr Lächeln verschwand, und sie zeigte ihm ihren Unmut. „Nein, Ihr erwartet von mir, dass ich Eurem Bild von meiner Mutter entspreche.“ Sie wandte sich zum Gehen.
„Also beurteilt jeder von uns den anderen falsch, ist es das, was Ihr glaubt?“ Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest, als hätte er die Befugnis dazu.
Sie erschrak beinahe so, als würde er sie küssen.
Beide starrten auf ihre verschlungenen Hände, ihre Hand, die kühl in seiner lag, seine mit den langen Fingern, die auf ihrer blassen Haut ruhten.
Und etwas durchzuckte ihn, als hätte er sie wieder geküsst. Damals war er angetrunken gewesen. Das erklärte leicht, warum eine schöne Frau ihn erregt hatte. Aber jetzt – er berührte nur ihre Hand, und doch stand er da wie gelähmt, unfähig zu …
„Lord Justin, bitte.“
Er sah auf. Diesmal galt ihr verführerisches Lächeln ihm.
Er ließ ihre Hand
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