Die Tochter der Dirne
Windböe wehte ihm dunkle Haarsträhnen ins Gesicht. Er sah ihr fest in die Augen.
Ihr Stirnrunzeln kam wie von selbst, sie konnte nichts dagegen tun. All ihre Versuche, ihm zu gefallen, waren fehlgeschlagen, und noch immer hatte er neue Forderungen.
Sie zog die Zügel zurück, und das Pferd setzte sich wieder in Bewegung. Die frische Luft und ein nie gekanntes Gefühl von Freiheit lösten ihr die Zunge. „Zuerst muss ich Euch von meiner Liebe überzeugen. Jetzt muss ich auf ewig treu sein. Hören die Bedingungen, die ich erfüllen muss, denn niemals auf?“
Justin zog die Brauen hoch und betrachtete sie. „Wenn Ihr meine erste Bedingung erfüllt, wird die zweite keine Schwierigkeiten bieten. Wie kann ich von Euch Treue erwarten, wenn Ihr nicht aus Liebe zu mir kommt?“
Sehnsucht durchzuckte sie, ein Rest des Traumes von Liebe. „Ein Mann des Gesetzes, der Beweise für alles verlangt. Welchen Beweis habt ihr jemals gesehen für Liebe in einer Ehe?“
Ein Lächeln ließ seine harten Züge weicher erscheinen. „Meine Eltern.“
An der nächsten Bemerkung war nur ihre Eifersucht schuld. „Eure Eltern bildeten die Ausnahme von der Regel. Die Ehe meiner Mutter diente nur einem Zweck, und das war nicht die Liebe.“
„Wie kam das?“
„Ihr wisst es nicht? Als Rechtsgelehrter würdet Ihr den Fall interessant finden, doch es ist eine längere Geschichte.“
„Erzählt sie mir. Der Weg ist noch lang.“
Sie sah sich um. Der berittene Hofstaat war weitergezogen, die Fußgänger waren zurückgefallen. Niemand konnte sie hören.
„Nach dem Tod des Königs“, begann sie, „behandelte das Parlament sie als ‚femme sole‘, also als für sich allein verantwortlich.“
„Ich weiß, was das bedeutet“, sagte er.
Sie schluckte eine Erwiderung hinunter. „Natürlich sprachen sie sie schuldig, aufgrund einer erfundenen Anklage.“ Nun, da sie die Geschichte erneut erzählte, stieg wieder Ärger in ihr auf.
Er öffnete den Mund, als wollte er widersprechen, dann zuckte er die Achseln. „Es ist Eure Geschichte. Was geschah dann?“
„Das Urteil lautete Verbannung.“ Die Furcht von damals erfasste sie wieder. Ihre Mutter, die vierjährige Jane und sie selbst, damals neun Jahre alt, sollten auf einem Strand in Frankreich zurückgelassen werden, ganz ohne jede Habe, der Gnade vierbeiniger Raubtiere ausgeliefert. Oder zweibeiniger. „In diesem glücklichen Moment erschien Weston wieder und nahm sie als seine Frau auf.“
„Hatte er einen Beweis?“
„Welchen Beweis brauchte er? Niemand widersprach ihm, am wenigsten meine Mutter. Als seine Frau gehörten ihr Leben und alles, was sie besaß, ihm. Das Parlament lieferte ihm umgehend ihren Besitz und sie selbst aus. Er hatte den Besitz, wir unser Leben, und er verschleuderte fröhlich alles, was wir besaßen und noch mehr, ehe er starb.“
Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass es ein fairer Handel war, ohne jemals zu verraten, ob Westons Erscheinen seine Idee gewesen war oder ihre. Sicher war nur, dass keine Liebe im Spiel gewesen war.
Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. „Bei so einem Beispiel wundert es mich, dass Ihr überhaupt heiraten wollt.“
„Was soll eine Frau sonst tun? Die einzigen Frauen, die nicht den Männern dienen, sind jene, die Gott dienen, und selbst Er verlangt eine Mitgift.“ Ehefrau, Nonne, Dirne. Das waren ihre Wahlmöglichkeiten. „Eine Frau muss einem Mann gefallen oder vielen.“
Wieder brachte er ihr Pferd zum Stehen, beugte sich vor und sah sie an. „Seht mich an und versteht, Solay. Eine Ehe ist kein Spiel. Sollte ich mich entscheiden, Euch zu heiraten, so werdet Ihr nur einem Mann zu Gefallen sein, einem allein.“
Ihren Körper hatte sie ihm schon enthüllt, doch sein Blick verlangte mehr. Es war, als wollte er ihr geheimes Selbst bloßstellen, die empfindsamen Teile ihres Wesens, die sie niemals jemandem offenbaren würde.
„Die Ehe ist für mich kein Spiel.“ Sie sah ihn an und versuchte zu verbergen, wie sehr ihre Hände zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich nie damit auseinandergesetzt, was es bedeuten mochte, ihr Leben lang an diesen Mann gebunden zu sein. „Es ist eine Angelegenheit von Leben und Tod.“
Sie entzog ihm ihre Zügel und ritt weiter in der Hoffnung, dass sie eine Möglichkeit finden würde, einer Heirat mit diesem furchteinflößenden Mann zu entgehen.
Der Wind trieb ihr Agnes’ Lachen zu, das ihr in den Ohren kitzelte.
14. KAPITEL
In der darauffolgenden Nacht lag Solay wach
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