Die Tochter der Dirne
in einem der Gästezimmer einer überfüllten Abtei, lauschte auf das Schnarchen in ihrer Umgebung und dachte nach über Justins Worte.
Ihr werdet nur einem Mann zu Gefallen sein, einem allein.
Da sie eine Frau war, war ihr Körper ihre einzige Waffe. Alles ging um Versprechungen. Geschickt eingesetzt, verhüllt und entblößt, konnte sie locken und necken, bis sie bekam, was sie wollte.
Aber dieser Mann hier hatte sich ihr widersetzt, als befürchtete er, dass die körperliche Vereinigung ihn mit einem Zauber belegen würde. Als ginge es bei dem Akt um mehr als um die Befriedigung eines Bedürfnisses. Natürlich wusste sie, dass das Verlangen einen um den Verstand bringen konnte, aber wenn es gestillt war, wäre das nicht alles?
Neben ihr bewegte sich Agnes auf der Strohmatratze.
„Seid Ihr wach?“, fragte Solay flüsternd.
„Jetzt bin ich es“, murmelte sie.
„Wie ist es, wenn Ihr und – ich meine, wenn Ihr …?“ Sie wusste nicht, wie sie die Frage stellen sollte. „Ist er Eurer noch nicht überdrüssig geworden?“
„Wir begehren einander jeden Tag mehr“, sagte Agnes mit einem Seufzer, der von unerfüllter Sehnsucht sprach.
„Wenn Ihr zusammenkommt, wie ist das?“
Das Stroh knisterte, als Agnes sich auf den Rücken drehte. „Wenn ich bei ihm liege, öffnet unsere Liebe unsere Seelen. Da gibt es keine Geheimnisse.“
Es war so, wie sie befürchtet hatte. Nach einer solchen Vereinigung, wenn er ihre Seele genau wie ihren Körper genommen hatte, würde sie in seine Augen sehen und die Missbilligung darin entdecken. Und das jeden Morgen für den Rest ihres Lebens.
Sie zog den Umhang des Königs, der wie eine Decke über ihr lag, hoch bis zum Kinn. „Kann man auch ohne diese Art von Liebe zusammen sein?“
„Oh ja. So ist es bei den meisten Ehen.“
Erleichtert drehte sie sich auf die Seite, zog sich den Umhang über die Schulter und wünschte murmelnd eine gute Nacht. Es war so, wie sie es gedacht hatte. Würde sie gezwungen, ihn zu heiraten, so würde er bald ihr Bett verlassen und sein Vergnügen anderswo suchen, trotz seiner Worte über Liebe und Treue. Sie würde wie Hibernias Frau allein bleiben und ihren Gemahl nur noch bei offiziellen Anlässen sehen.
Sie achtete nicht auf die leise Stimme, die sie daran erinnerte, dass dieser Mann nicht wie andere war.
Sie war fast eingeschlafen, als sie Agnes’ bebende Stimme neben sich hörte.
„Solay? Würdet Ihr für mich die Sterne deuten?“
Die Sterne. Ihre Tage im Zimmer des alten Astrologen schienen ihr eine Ewigkeit her zu sein. „Der König hat es verboten.“
Agnes drehte sich um und flüsterte ihr direkt ins Ohr. „Weil er fürchtet, dass Ihr seinen Tod vorhersehen könntet“, sagte sie mit Worten, die sie von Hibernia gehört haben musste. „Aber ich bitte Euch, für mich in den Sternen zu lesen, nicht für den König.“
Ihr würdet mich nicht fragen, wenn Ihr wüsstet, welch eine Schwindlerin ich bin.
Solay schüttelte den Kopf. „Ich bin nur eine Anfängerin.“
„Doch dem König habt Ihr etwas Wahres gesagt.“
„Ich besaß die Aufzeichnungen des alten Astrologen.“
„Aber Ihr fandet Dinge, die er nicht gefunden hatte.“
Nur weil ich versuchte, dem König zu gefallen. Sie hatte Glück gehabt, dass sie bei ihrem Schwindel zufällig auf sein tatsächliches Geburtsdatum gestoßen war. „Außerdem berichten die Sterne nur über Könige und Länder.“
„Bitte.“ Agnes umfasste Solays Arm. „Helft mir. Ich liebe ihn so sehr. Ich muss wissen, ob es Hoffnung gibt. Wenn Ihr in Euer Buch schaut, werdet Ihr vielleicht etwas finden.“
In dem drängenden Flüstern der Frau, die ihre einzige Freundin war, erkannte Solay das verzweifelte Bedürfnis, sich an etwas klammern zu können, wenn es nirgends Antworten gab. Hatte sie nicht in den Sternen dasselbe gesucht?
Nun, was konnte es schaden, wenn sie für Agnes ein paar Fäden der Hoffnung spann?
„Wenn wir in Nottingham ankommen, werde ich es versuchen.“
Agnes unterdrückte einen Freudenschrei. „Danke“, sagte sie.
Als Agnes wieder zu schnarchen begann, lag Solay noch wach und fragte sich, ob die Sterne wohl irgendwelche Hoffnungszeichen für ihre Freundin bereithielten.
Oder für sie selbst.
Auf halbem Wege nach Nottingham ließ sich die Entourage des Königs in Beaumanoir Castle nieder, um sich ein paar Tage der Rast in bescheidenem Luxus zu gönnen.
Berittene Boten kamen schneller voran als der Hofstaat des Königs, daher verbrachte Justin den Tag
Weitere Kostenlose Bücher