Die Tochter der Dirne
damit, die neuesten Dokumente aus Westminster zu studieren und den König dann wie ein trotziges Kind zu überreden, die wichtigsten zu unterzeichnen.
Dabei kreisten seine Gedanken immer wieder um Solay. Je mehr er von ihr wusste, desto weniger entsprach sie dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte. Obwohl er das verletzte Kind in ihr gesehen hatte, das so tief in ihr verborgen war, hatte er doch auch entdeckt, dass hinter ihrem gefälligen Verhalten Stärke verborgen war, die von Schmerz herrührte und von Zorn genährt wurde. Wie viele Hiebe sie auch einstecken musste, diese Frau würde nicht aufgeben.
Anders als Blanche.
Doch ihre Vorstellung von einem Leben nach dem Ehegelübde war trostloser als alles, was er erwartet hatte. Noch mehr Gründe, zu vermeiden, an sie gefesselt zu sein.
Trotz allem hielt er nach ihrem anmutigen Gang Ausschau, als er mit seiner Arbeit fortfuhr, und er war erleichtert, als sie am Ende des Tages eine Partie Mühle vorschlug.
Während sie spielten, blieb er stumm und versuchte, nicht auf den verlockenden Duft von Rosen zu achten, der ihm jedesmal in die Nase stieg, wenn sie über das Brett griff, um einen Stein zu bewegen. Da das Kaminfeuer eine wohlige Wärme verströmte, legte Solay den Umhang ab und zeigte ihm den Körper, den er aus seinen Träumen zu verbannen versucht hatte. Das Feuer betonte die Rundung ihrer Brüste und warf Schatten auf ihren Schoß. Wieder durchzuckte ihn das Verlangen, doch so sehr er sich auch bemühte, ihr die Schuld daran zu geben, so musste er doch einräumen, dass sie seit der Nacht, in der er sie zurückgewiesen hatte, nichts mehr getan hatte, um ihn zu verführen.
Nichts, außer da zu sein.
Lachend nahm Solay den Rest seiner ungeschützten Steine und hatte ihn damit wieder geschlagen.
Er seufzte. „Heute Abend seid Ihr die bessere Spielerin.“
„Im Spiel mit meiner Schwester habe ich geübt.“ Er war eifersüchtig auf das warme Lächeln, das auf ihrem Gesicht erschien, wenn sie von ihrer Schwester sprach.
„Erzählt mir von Jane“, sagte er.
„Ihr würdet sie mögen.“ Mit leuchtenden Augen blickte sie ihn an. „Sie hat keine Angst, jedem gegenüber ihre Meinung zu sagen.“
„Wird sie bald im heiratsfähigen Alter sein?“
Solay rollte einen schmalen, runden Mühlestein zwischen ihren Handflächen. „Das wird schwierig werden.“
„Warum?“
Solay blickte zum Feuer.
Er bedauerte die Frage. Es bestand kein Zweifel, dass Solay nicht als gute Partie angesehen wurde, und dasselbe würde für ihre Schwester gelten.
„Ich glaube“, begann Solay, „dass Jane glücklicher wäre, als Mann geboren zu sein.“
Er runzelte die Stirn. „Es ist nicht so leicht, ein Mann zu sein.“ Vor allem nicht jetzt, da er zusah, wie ihre Brüste sich hoben und senkten mit jedem Atemzug, und er sich bemühte, selbst ruhig zu bleiben. Die Glut zwischen ihnen drohte seinen Verstand zu verbrennen. Sie wärmte ihn jedesmal, wenn er ihr in die Augen sah, und verbrannte ihn fast, wenn er ihre Hand berührte.
„Dasselbe gilt für ein Leben als Frau.“
„Was macht es so schwierig, eine Frau zu sein?“
Sie zog die Brauen hoch und stand auf. „Jane nennt es stöckeln und knicksen, zwitschern und schmeicheln.“ Über die hochgezogene Schulter hinweg sah sie ihn mit einem einfältigen Lächeln an und klimperte mit den Wimpern, besser als der drolligste Hofnarr.
Er lachte. Nur eine so weibliche Frau konnte ihr eigenes Geschlecht auf diese Art ins Lächerliche ziehen. „Und Ihr glaubt, Euer Los ist schwieriger als das eines Mannes?“
Wieder ernst geworden, schüttelte sie den Kopf. „Es ist meine Natur, eine Frau zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, etwas anderes zu sein, so wie Ihr nur das sein könnt, was Ihr seid.“
Ihre Worte klangen zweideutig. „Ich bin ein Mann. Was meint Ihr sonst noch?“
Statt zu antworten, griff sie nach seiner Hand und strich mit dem Daumen über die eingravierten Buchstaben in seinem goldenen Ring. Die leichte Berührung ihrer Finger auf dem Rücken seiner Hand entflammte ihn mehr, als ihre falschen Küsse es je getan hatten.
„‚Die Wahrheit siegt über alles‘, sagtet Ihr. Ich denke, Ihr habt keine andere Wahl, als daran zu glauben, auch wenn es nicht stimmt.“
Er zog seine Hand weg.
Jede Minute mit ihr war eine Lüge.
Er verheimlichte nicht nur seine Vergangenheit vor ihr, er hielt auch eine Wahrheit aus seiner Gegenwart zurück. Ob sie ihn liebte oder nicht, er begehrte sie, wie er
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