Die Tochter der Dirne
vertreten?“
„Ihr verurteilt sie, ohne irgendetwas zu wissen.“
Er zögerte. Nie zuvor hatte sie so direkt mit ihm gesprochen. „So erzählt es mir.“
„Westons Neffe will unser Haus haben. Es ist das Letzte, was sie noch besitzt …“
„Der Neffe ihres Mannes?“ Wenn das, was Solay ihm über diesen Mann erzählt hatte, stimmte, dann hatte keiner seiner Verwandten mehr Anspruch auf nur einen Penny von Lady Alys Weston.
Sie nickte. „Er hat Klage eingereicht vor dem Londoner Zivilgericht, dass er Westons rechtmäßiger Erbe sei und nicht meine Mutter. Das heißt, er beansprucht das Haus für sich.“ Ihre Stimme bebte. „Es ist alles, was uns geblieben ist.“
Er unterdrückte das Mitgefühl, das ihre Verletzlichkeit in ihm weckte. Ihre Mutter hatte mehr als genug Hab und Gut angehäuft, das ihr niemals zugestanden hatte. „Gehört der Besitz rechtmäßig ihm?“
„Ihr sagtet, das müsste das Gesetz entscheiden.“ Bei seiner nüchternen Frage wurde ihre bebende Stimme wieder fest. „Oder habt Ihr bereits über unseren Fall geurteilt?“
Ihre Worte trafen ihn. „Ich fragte nur nach den Fakten.“
Sie sah ihn an, den Kopf schief gelegt, die Brauen erhoben. „Ihr sprecht, als würdet Ihr sie schon kennen.“
Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, sich zu setzen.
Das tat sie, und ihre Stimme klang jetzt ruhiger. „Die Fakten sind die folgenden: Er behauptet, meine Mutter hätte Weston nie geheiratet und ihre Kinder seien die des Königs. Das würde uns …“, sie zögerte, „… das würde ihren Kindern nicht erlauben, Westons Besitz rechtmäßig zu erben. In diesem Fall würde der Besitz an ihn übergehen, den nächsten männlichen Erben.“
„Und, waren sie verheiratet?“
Er sah, wie sie überlegte, und fragte sich, was sie wohl sagen würde. Mit ihrer Antwort würde sie ihre legitime Geburt erklären oder sich zum Bastard machen. Würde sie die Wahrheit sagen? Kannte sie die Wahrheit überhaupt?
„Das Parlament hat erklärt, dass sie es waren“, sagte sie schließlich. „Und Weston war damit zufrieden, die Rechte eines Ehemannes zu bekommen. Ist das nicht Beweis genug?“
Kein Wunder, dass sie dem Rechtswesen gegenüber misstrauisch war. Ihre Familie hatte viele Klippen des Gesetzes umschiffen müssen, um zu überleben. „Das würde Euch also zu einer Tochter von William Weston machen.“
„Rechtlich, ja.“ Sie lächelte traurig. „Ich kann die Tochter sein von irgendeinem Mann, den das Gesetz dazu erklärt, aber wir alle wissen, wer mich gezeugt hat. Das scheint Beweis genug zu sein für die meisten Männer, um den Fall zu entscheiden.“
Er blickte von Solays herausfordernder Miene zu Hibernias nutzloser Vorladung und dem fragwürdigen Entwurf für seine Amtsenthebung.
Wenn er den Fall der Dirne übernahm, würde er dann Solays Vertrauen in das Gesetz wiederherstellen?
Und auch sein eigenes Vertrauen?
„Ich werde mich mit Eurer Mutter treffen.“ Gewiss konnte die Frau die Frage beantworten, ob sie verheiratet gewesen war oder nicht. „Dann werde ich entscheiden.“
Sie strahlte ihn glücklich an. „Alys. Sie heißt Alys.“
Vor dem Haus in Upminster zügelte Justin sein Pferd. Nach königlichen Maßstäben eher bescheiden, ohne Verteidigungsbauten, abgesehen von einem Teich, der zu klein war, um als Burggraben zu gelten, sah es kaum aus wie etwas, um das zu kämpfen sich lohnte. Doch er hatte schon Menschen vor Gericht streiten sehen über noch wesentlich unbedeutendere Besitztümer.
Er half Solay beim Absitzen, als ein junger blonder Bursche von seinem Platz auf dem Stumpf einer Eiche aufsprang. Der Junge rannte auf sie zu und fiel Solay um den Hals, kaum dass ihre Füße den Boden berührt hatten.
Der Kopf des Jungen reichte Solay bis ans Kinn, und sie erwiderte die Umarmung, küsste den Jungen auf beide Wangen und wandte sich dann an Justin, den Arm noch immer auf der Schulter des Jungen. „Jane, dies ist Lord Justin.“
Er sah noch einmal hin, und ihm wurde klar, dass dies kein Junge war, sondern die Schwester.
Nun, da er sie genauer betrachtete, konnte er erkennen, dass das Mädchen an der Schwelle zur Frau stand und alt genug war, um verheiratet zu werden. Sie besaß das helle Haar und die blauen Augen des Königs, doch während Solay gelernt hatte, ihre Reize zu betonen, verbarg Jane die ihren.
Sie trat zurück und musterte ihn unverhohlen. „Ihr seid jetzt ihr Gemahl?“
„Ja.“ Ein Wort nur. Das war alles.
„Habt Ihr sie geheiratet, weil
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