Die Tochter Der Goldzeit
Ufer in der Böschung hin und her schlich und unwillig fauchte, trottete die Erste zu dem Nackthäuter, stieß die Gelbe zur Seite und berührte ihn mit Nase und Tatzen, beschnüffelte ihn, erkundete sein Haar, sein Leder, seine Hände, seinen Eisenzahn.
Zitternd und wimmernd hockte er im Gras. Kaum reichte sein Rotschopf ihr bis zur Schulter. Sein Eisenzahn roch nach altem Federfleisch und Blut, der Griff war aus weißem Gebein und mit Zeichen verziert, wie man sie überall fand, wo Nackthäuter lebten. Der kleine Nackthäuter selbst roch nach Angst, Trauer und Milch. Sein Haar duftete nach Waldgrassamen und Birkenrinde, seine Haut schmeckte nach Schreivogelleber und Salz.
Er roch nach Sehnsucht, er schmeckte nach Hilflosigkeit.
Und roch und schmeckte er nicht sogar ein wenig nach den Säugern des Wurfes, die sie, die Erste, im Eis des letzten Winters, des unendlichen, verloren hatte? Seine Augen waren blau wie der Sommerhimmel über den Lichtungen der Küstenwälder. Die Erste betrachtete sie erstaunt, und etwas schwoll in ihrer Brust.
Auf einmal streckte der kleine Nackthäuter sein Ärmchen aus und streichelte das Fell zwischen ihren Ohren. Er zitterte fast gar nicht mehr, schluchzte nur noch hin und wieder und machte: »Yjauyiou«, immer wieder: »Yiouyjauyiou.«
Die Reißerin tauchte in der Böschung auf. Sie zerrte ein Gehörn hinter sich her, das so schwer war wie sie selbst. Als sie den kleinen, roten Nackthäuter vor der Ersten und der Gelben im Gras hocken sah, ließ sie davon ab, fletschte die Zähne und duckte sich zum Sprung. Der Nackthäuter jammerte. »Yiou!«, rief er, und die Erste stellte sich der Reißerin in den Weg und fauchte sie an.
Der Wind drehte und trieb den Qualm aus der Siedlung in die Flussböschung hinein. Bald hingen Rauchschleier über der Ersten und ihren Jägerinnen in den Baumkronen. Das Geschrei der Nackthäuter verlor sich allmählich, dafür hörten sie das Prasseln der Flammen und das Krachen zusammenfallender Hütten.
Die tiefe, fordernde Stimme eines männlichen Nackthäuters tönte durch den Wald - die Stimme ihres kahlköpfigen Anführers. Er und seine Jagdgenossen verließen die verwüstete Siedlung mit dem Viehzeug der Waldsiedler und mit Säcken und Karren voller Beute.
Zurück blieben Kadaver, blutgetränkte Erde, Flammen, Glut und Asche.
Später, als sie in die Höhle zurückkehrten, wollten die Zurückgebliebenen den kleinen Nackthäuter fressen. Die Erste fauchte sie an, biss sie in die Flanken. Sie tat es einmal, zweimal, sie tat es wieder und wieder; so lange eben, bis alle begriffen hatten.
Fast fünf Winter lang blieb der rote Nackthäuter beim Rudel. Feuerkopf hieß er bei allen. Dann wurde sein Appetit unmäßig, und weil bereits der zweite harte Winter in Folge drohte, konnten die pelzigen Jäger ihn nicht mehr länger ernähren. Zwischen den Hügeln an der Ostküste, in der Nähe eines Weilers, trieben sie ihn aus dem Rudel. Sie gaben ihm eine entwöhnte Säugerin mit, eine Tochter der Ersten; auch die nannte er Yiou.
Auf einem großen Hof mit Weiden voller Kleingehörn klopfte er an die Tür des Haupthauses. Sie beobachteten es aus der Deckung der Büsche am Rande eines Bachufers.
Kapitel 7
Nach den gewohnten Morgengesängen und Beschwörungen kramte Roscar von Eyrun an diesem Tag das Buch Spruch Dashirins an Alphatar aus der Truhe mit seinen wertvollsten Schriften. Er trat vor die Landkarte an der Ostwand seines Studierraums. Für zwei Ziegen und einen abgerichteten Hütedogger hatte er die große Karte einem Kapitän der königlichen Flotte von Albridan abgekauft; fast zwanzig Winter war das her.
Roscar von Eyrun war hochgewachsen und von kräftigem Körperbau. Sein graues Haar hing ihm lang und dicht über die Schulterblätter hinab, sein Gesicht war hart und er trug einen Mantel aus ungefärbter Wolle. Kaum einer auf der Insel Eyrun, der ihn nicht kannte. Viele schätzten ihn, noch mehr fürchteten ihn. Die ihn schätzten, nannten ihn Zauberer, die ihn fürchteten, Hexer.
Er selbst nannte sich Druide.
Roscar legte die Fingerspitze auf die Karte - auf eine Stelle des Kleinen Südmeeres zwischen Apenya und Dalusia. Hier kamen sie her, die Tiefländerschiffe, die seit einigen Wintern die Küsten von Eyrun und Albridan unsicher machten. Angeblich wichen sie vor Fremden zurück, die stärker waren als sie, und angeblich hatten diese Fremden in den letzten zehn Wintern mindestens vier Segler der Tiefländer versenkt.
Roscar konnte sich keine
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