Die Tochter Der Goldzeit
diesen Glauben zu nehmen.« Je länger sie schwieg, desto mehr redete er. »Henner zum Beispiel halten sie für den Sohn eines Erdgottes ... Sind es nicht merkwürdige Menschen, die aus Hagobaven? Ehrlich gesagt, ich bewundere sie. Dieses große Riesenfernrohr hier zum Beispiel - wie geschickt und wie klug muss man sein, um so etwas bauen zu können?« Endlich nahm er das Gesicht vom Okular und sah sie an. »Du stammst auch von solchen Menschen ab, nicht wahr?«
Sie betrachtete sein Gesicht. Er sah müde aus. »Hast du sie geliebt?«
Jacub atmete geräuschvoll durch die Nase ein. Dann ließ er seinen Mantel von der Schulter auf den Boden fallen, glitt mit dem Rücken an der Wand hinab und setzte sich auf ihn. »Ich habe sie begehrt.« Er zog die Beine an, legte die Arme über die Knie und ließ den Kopf gegen die Wand sinken.
»Du hast sie gar nicht geliebt?« Katanja runzelte die Stirn.
»Was ist das - >Liebe Ich weiß es doch nicht.«
»Du weißt nicht, was Liebe ist?« Katanja kniete sich neben ihn auf seinen Mantel. »Ist das wirklich wahr?«
»Weißt du es denn?« Seine blauen Augen wanderten über ihre Stirn, über ihre Wangen, blieben an ihren Augen hängen. »Dann sag es mir - was ist >Liebe«
»Wenn du alles mit einem Menschen teilen willst - Freude, Essen, Traurigkeit, Musik, den Anblick des Sternenhimmels, eines Baumes - wenn du einfach alles mit ihm teilen und erleben willst, dann liebst du ihn wahrscheinlich.«
»Gilt das auch für Tiere?«
Katanja nickte.
»Dann liebe ich Yiou. Und wenn meine Mutter noch leben würde, dann würde ich auch sie lieben. Doch ich kann mich ja kaum an sie erinnern.« Ein Anflug von Traurigkeit huschte über seine Züge. »Und Torya ...?« Er zuckte mit den Schultern. »Es gab nicht viel, das ich mit ihr teilen wollte. Eigentlich nur eines - das Bett.« Halb schuldbewusst, halb verlegen senkte er den Blick. »Du sagst >wahr-scheinlich<. Ein sicheres Zeichen ist also auch das nicht?«
Sie betrachtete ihn und stellte sich vor, sie würde ihn umarmen, jetzt, sie würde seine Lippen küssen. Natürlich dachte sie an Janner, während sie sich das vorstellte. Dennoch glühte ihr Herz, und ihr Atem wollte fliegen. Zugleich aber empfand sie Angst - sie kannte ihn ja kaum. Hatte er nicht getötet? Und wusste sie nicht aus seinen Gedanken, wie sehr er den Goldzeitschatz für sich begehrte?
»Schau mich an«, forderte sie ihn auf. Er hob den Blick. Unfassbar, wie scheu sich ein wilder Krieger wie dieser hier gebärden konnte!
»Wenn du einen Menschen kennst, mit dem du am liebsten immer zusammen wärst, Tag und Nacht, einen Menschen, ohne den du nicht mehr sein magst, dann liebst du ihn. Wenn du einen Menschen kennst, den du umarmen und nie mehr loslassen willst, dann liebst du ihn ganz gewiss.«
Diesmal wich er ihrem Blick nicht aus. »Wenn das so ist«, flüsterte er, »dann ...« Er schluckte.
»Dann?«
Er sprach den Satz nicht zu Ende, sah stattdessen hinauf zum Okular des Großsehrohrs. »Dort, wo du herkommst - kann man dort auch solche Fernrohre bauen?«
»Wo komme ich denn her?«
»Roscar sagt, du seist eine Tochter der Goldzeit. Ist das wahr?«
»Ja und nein.« Was sollte sie ihm sagen? Was durfte sie ihm sagen? »Ja, denn ich bin unter Menschen groß geworden, die Bescheid wissen über die Goldzeit und manches bewahrt haben, was gut und nützlich an ihr war. Und nein, ich bin es nicht, denn ich weiß, dass die Goldzeit nur in den Legenden eine >goldene< Zeit war.«
»Du meinst ...?« Er runzelte die Stirn, wusste wohl nicht, wie weit er gehen konnte mit seinen Fragen, ohne ihr zu nahe zu treten. »Du meinst, es war eine böse Zeit?«
»Vielleicht nicht einmal viel böser als unsere Zeit.« Katanja sah nachdenklich auf ihre gefalteten Hände. »Nur ungeheuerlicher in den Auswüchsen ihrer Bosheit. Aber was heißt das schon - >böse Sagen wir so: Die Goldzeit hat der Menschheit das beschert, was die Legenden >Götternacht< nennen: Kriege, Seuchen, Katastrophen. Also können die Menschen dieser Epoche weder besonders klug noch besonders gut gewesen sein, nicht wahr? Und andererseits: Hätte das, was die Legenden >Götternacht< nennen, der Raserei jener Goldzeitmenschen kein Ende gemacht, gäbe es vielleicht gar keine Menschheit mehr.«
»Was weißt du über die Götternacht?«
»Viele schreckliche Winter lang dauerte sie. Hunderte Generationen ebneten ihr den Weg, und so war sie schließlich nur Schlusspunkt einer Geschichte, die Tausende Winter zuvor
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