Die Tochter Der Goldzeit
»Die Königin beobachtet uns durch ein Fernrohr.«
Jacub antwortete nicht, blieb nicht einmal stehen, um zu warten.
Katanja lief hinter ihm her. Nur die Nordmänner marschierten jetzt noch hinter ihnen. »Traust du deinem Ziehvater?«, fragte sie nach langem Schweigen. Wenige hundert Schritte trennten sie noch von der Küste.
»Warum fragst du?« Jacub sah in den Himmel; es begann zu schneien.
»Hast du die Möwen und die Graukolks gesehen, als wir aus der Röhre traten?«
Jacub schwieg. Natürlich hatte er sie gesehen.
»Heute Nacht sagtest du, er habe mich eine Tochter der Goldzeit genannt.«
»Bist du es denn nicht?«
»In Roscars Augen scheine ich es zu sein«, wich sie aus. »Dieses Urteil hat er vom Eisernen und den Männern und Frauen aus Jusarika übernommen. Sie hassen und verfolgen Menschen wie mich. In ihren Augen sind wir Verächter der Goldzeit. Auch Roscar hasst mich.«
»Wie kommst du darauf?« Der Schnee knirschte unter ihren Sohlen. Die Vorhut der Kolonne hatte bereits das Ende der Brücke erreicht.
»Ich höre den Hass in seiner Stimme, ich sehe ihn in seinem Blick. Und ich spüre ihn in seinen Gedanken.«
Jacub blieb stehen. »Du kennst die Gedanken der Menschen?« Seine Augen wurden schmal. Er versuchte seinem Lächeln einen spöttischen Zug zu verleihen. »Bist du am Ende eine Göttin?«
Sie antwortete nicht, sah ihm nur in die blauen Augen.
Bald blieben Brückenruine und Meeresenge hinter ihnen zurück, sie durchquerten die Ausläufer einer Ruinenstadt. Der Schnee fiel dichter. Dankbar sah Katanja die Schneeflocken in die Abdrücke ihrer Stiefel sinken. Zweihundert Schritte vor ihnen stieß Henner einen Warnruf aus. Katanja sah Tiban seine Armbrust spannen, Jacub und die Roschs zückten ihre Schwerter. Als sie Minuten später die Spitze der Kolonne erreichten, standen Tiban und die aus Hagobaven um den Kadaver eines Tieres von der Größe eines jungen Alkers: Eine weiße Kröte mit kräftigen Hinterbeinen und Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen. Spitze Zähne ragten aus ihrem breiten Maul.
»Eine Nordmeerkröte«, erklärte Henner. »Sie jagen in der Dämmerung.« Tibans Pfeil steckte im Bauch der Kröte, Blut sickerte in den Schnee. »Bleiben wir dicht zusammen und beeilen wir uns.«
Als die Dämmerung hereinbrach, führten die Schneeläufer aus Hagobaven sie zu einem halb zerfallenen Turm. Über eine steile Wendeltreppe gelangten sie in ein Kellergewölbe und von dort durch einen Schacht in ein System schmaler, mit rotem Stein verschalter Stollen. Der letzte und niedrigste führte zu einer unterirdischen Kuppelhöhle mit zahlreichen Nebenräumen. Zwei Männer und zwei Frauen aus Hagobaven erwarteten sie dort. Und Dutzende weiß-grau gescheckter Caniden mit eisblauen Augen, jeder so groß wie ein ausgewachsenes Zwergschaf. Die Tiere knurrten und fletschten die Zähne, als Yiou sich fauchend auf der Schwelle duckte, doch obwohl sie in der Überzahl waren, hielten sie sich fern von ihr. Polderau beschnüffelte und betastete die großen Zottelpelze. Aus einem Nebenraum krächzten Kolks, als würde etwas sie in Aufruhr versetzen. Katanja war zu müde, um dem Lärm nachzugehen.
Es gab heißen Tee, Suppe und Trockenfrüchte. Nach dem Essen sanken die Schneewanderer erschöpft auf ihre Decken und Felle. Auch die Frau aus Altbergen. Zum ersten Mal schlug Waller Rosch sein Lager weit entfernt von Katanja auf. Sie stand noch einmal auf und ging zu ihm, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Es tat ihr weh, ihn so gekränkt zu erleben. Aus traurigen Augen sah er sie an.
Sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und versuchte zu lächeln.
Er wandte sich ab. »Lass mich in Ruhe.«
Jacub beobachtete sie mit deutlichem Missmut, während er seine Decken nur eine Armlänge neben Katanja ausbreitete. Sie sah es, und ihr Atem beschleunigte sich. Eine Mischung aus Erregung und Furcht befiel sie. Sie kroch in ihre Felle und sah hinüber zu ihm. Seine blauen Augen lächelten. Yiou trottete heran und ließ sich zwischen ihnen nieder. Katanja war enttäuscht und erleichtert zugleich. Sie drückte sich gegen den warmen Katzenkörper.
In dieser Nacht träumte Katanja von Merkur. Der Kolk war winzig klein in ihrem Traum, nicht viel größer als ein Sperling, und er war an eine Eisenkugel von doppelter Größe gekettet. Flatternd sprang Merkur hoch, doch die Eisenkugel hinderte ihn am Fliegen und hielt ihn am Boden fest. Er krähte jämmerlich.
Am frühen Morgen entzündete jemand eine Öllampe.
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