Die Tochter Der Goldzeit
der Jäger die Schneeschmelze abzuwarten. Die Nomaden wohnten in kuppelartigen Hütten aus zu Eis gefrorenem Schnee. Wenn die im Frühling zu tauen begannen, pflegten die Jauberobjäger zurück in den hohen Norden zu wandern. Fünf ihrer Eiskuppeln waren unbenutzt, weil ihre Bewohner weitergezogen oder bei der Jagd ums Leben gekommen waren. Die kleinen Menschen gestatteten ihnen, darin zu wohnen. Im Gegenzug sollten Katanja und ihre Gefährten bei der Jagd helfen, Brennholz sammeln und trocknen und die vier Feuer des Lagers hüten.
Die zwergwüchsigen Nomaden waren beeindruckt von der Größe ihrer Gäste. Vor allem zu dem massigen Weronius und dem hochgewachsenen Mann aus Eyrun blickten sie mit Bewunderung auf. Sie selbst waren so klein und zierlich, dass sie zu viert in einer einzigen Eiskuppel schlafen konnten, während neben Weronius nur noch der Kolk Platz in seiner weißen Klause fand.
Katanja, Weronius und Jacub kannten keine Jauberobs. Waller Rosch hatte immerhin schon von den Tieren gehört, sie aber nie gesehen. Die vier aus Hagobaven dagegen wussten, was sie sich unter einem Jauberob vorzustellen hatten: ein schwarzes, schuppiges Wasserwesen von der Größe eines Kindes, das sowohl im Meer unter dem Eis als auch an Land oder auf dem Eis leben und atmen konnte. Die Nomaden schlugen Löcher in das Eis zugefrorener Buchten, legten Köder aus und töteten die angelockten Tiere mit Wurflanzen.
Die Späher und Canidenführer aus Hagobaven hielten die Tiere für mutierte Fische, und sie hielten sie für intelligent - deswegen weigerten sie sich, an der Jagd teilzunehmen, und kümmerten sich stattdessen um die Feuer und um Brennmaterial. Sie ernährten sich von den Fischen, die sie mit Netzen und Angelruten aus Eislöchern zogen. Katanja machte es wie sie.
Am dritten Morgen nach ihrer Ankunft an der Küste gruben Jacub und Katanja im Wald Bruchholz aus dem Schnee. Henner und die Canidenführerin kümmerten sich um die Feuer. Die anderen waren auf der Jagd oder beim Angeln; Polderau und Zorcan hatten sie mitgenommen. Ein starker Wind wehte, milder als die Tage zuvor. Hoch über ihnen knarrte das Geäst der turmartigen Mammutbäume. Bald würden die Frühlingsstürme einsetzen.
Einen halben Mond lang hatte Jacub um seinen Ziehvater getrauert. Wortkarg war er gewesen und in sich gekehrt. An diesem schönen Morgen jedoch zeigte er sich ungewöhnlich gesprächig; sogar über Belanglosigkeiten konnte Katanja mit ihm plaudern. Sie stapelten das gesammelte Holz auf einem der Schlitten, den sie mit in den Wald genommen hatten. Sie scherzten und lachten, und Katanja fing an, den Mann aus Eyrun mit Schneebällen zu bewerfen. Er warf zurück, und bald begannen sie sich im Schnee zu balgen. Irgendwann, als sie genug hatten, halfen sie einander kichernd auf die Beine. Einer klopfte dem anderen den Schnee aus dem Pelzmantel.
»Warum bist du nicht mit auf die Jagd gegangen?«, fragte sie ihn leichthin.
»Du weißt es doch.« Seine Miene wurde übergangslos ernst, sein Blick beinahe scheu.
»Ich weiß es?« Sie zog überrascht die Brauen hoch. »Hilf mir auf die Sprünge, ich muss es vergessen haben.«
»Weil ich lieber mit dir zusammen sein will .« Seine Stimme nahm einen heiseren Klang an, er tastete nach ihrer Hand. »Weil ich am liebsten immer mit dir zusammen wäre. Nur mit dir ...«
Katanja war sprachlos. Das Herz klopfte ihr, als wollte es ihr durch die Kehle aus dem Brustkorb springen. Jetzt, wo sie an alles Mögliche dachte, jetzt, wo sie schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte - jetzt gestand er es ihr endlich.
»Mit mir?«, flüsterte sie.
»Ja.« Er fasste sie bei den Schultern. »Tag und Nacht.« Er zog sie an sich, umarmte sie, hielt sie fest.
Eine heiße Woge aus Glück und zärtlichem Verlangen durchflutete Katanja, weiter nichts als versinken wollte sie in den starken Armen dieses Mannes. Doch nur für einen Augenblick - dann schossen ihr schlimme Bilder durch den Geist: Sie sah den Rotschopf mit blutigem Schwert unter den Poruzzen wüten, sie sah die zornigen Blicke, mit denen er Waller Rosch und seinen gelähmten Bruder fast täglich verachtete, und sie sah - Janner; wie er neben ihr vor den Mammuthornissen flüchtete, wie er in ihr Haar griff, um sie vor dem Stich des Insektes zu retten, wie er neben ihr starb .
Katanja drückte Jacub ein Stück von sich weg und blickte zu ihm hoch. Sie wusste nicht, was sagen, was tun. Jacub beugte sich zu ihr hinunter, öffnete die Lippen, wollte sie
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