Die Tochter der Ketzerin
Abend brach an. Nachdem ich mich neben Tom gelegt hatte, aß ich noch ein kleines Stück Brot und schmiegte mich dann eng an ihn. Es war der 11. August, und ich hatte den ersten Tag im Kerker hinter mir. Noch acht Tage sollten vergehen, bis sie meine Mutter aus ihrer Zelle holten und sie aufhängten.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich vor Schlafmangel Kopfschmerzen. Die Frau mit den Zahnschmerzen hatte so lange geschrien, bis die gute Samariterin ihr schließlich wieder den Trank verabreichte, der sie zum Schweigen brachte. »Gib ihr schon endlich die ganze Flasche, damit wir schlafen können«, hätte ich am liebsten gerufen. Mühsam setzte ich mich auf, um aus dem Wassersack zu trinken, den mein Vater uns mitgebracht hatte. Doch zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass das Leder während der Nacht angeknabbert worden war. Kostbare Tropfen sauberes Wasser rannen auf den Boden. Also würde ich wohl auch mit dem Wassersack unter dem Mieder schlafen müssen, damit die Ratten ihn mir nicht auffraßen. Die Frauen besorgten wie am Vortag ihre Morgentoilette, und bald machte Goodwife Hoar die Runde, um Brot zu erbetteln. Als sie bei mir angelangt war, blieb sie nicht stehen, sondern sagte nur: »Gott segne euch, Kinder.« Jeden Morgen, den wir im Gefängnis verbrachten, segnete sie uns auf diese Weise und bat uns nie wieder um etwas Essbares. Ungeduldig wartete ich darauf, dass an der niedrigen Mauer ein Platz frei wurde, damit ich mit meiner Mutter sprechen konnte. Aber die Frauen schienen nicht in Eile, sich zu bewegen.
Als auf der Treppe Schritte erklangen, zuckten alle ängstlich und erwartungsvoll zusammen. Für das Ausleeren der Toiletteneimer war es noch zu früh, und die Angehörigen wurden erst in einigen Stunden erwartet. Es waren zwei Paar Füße, die sich da näherten - der Sheriff und noch eine andere Person. Ich fragte mich, ob man vielleicht eine Gerichtsverhandlung vorverlegt hatte. Die Tür zu unserer Zelle öffnete sich, und eine kleine, gedrungene Frau trat ein, blieb stehen und blickte sich suchend um. »Die Frau des Sheriffs«, zischte jemand. Da die Tür einen Spalt weit offen stand, konnte ich Sheriff Corwin auf der Schwelle sehen. Seine Gattin marschierte selbstbewusst auf Goodwife Faulkner zu und wies auf ihr Umschlagtuch. »Ich gebe dir Brot dafür.«
Ein altes Weib am anderen Ende des Raums räusperte sich. »Tun Sie das nicht, gute Frau. Sie werden es im September noch brauchen«, rief sie aus. Ihr blechernes Lachen endete in einem heftigen Hustenanfall. Goodwife Faulkner schüttelte den Kopf und zog das Tuch fester um sich. Doch die Frau des Sheriffs zuckte nur die Schultern und wandte sich an einige andere Gefangene, die, nach ihren sauberen Händen und Schürzen zu urteilen, noch neu hier waren. Sie und einige andere Verzweifelte, die schon seit einer Weile einsaßen, waren tatsächlich bereit, Kleidungsstücke gegen ein kleines Stück Brot einzutauschen. Eine der Frauen besaß nur noch ihr Unterhemd, doch als sie Goodwife Corwin ein Stück vom Saum anbot, schüttelte diese nur den Kopf und wandte sich ab. Dann schaute sie sich um, bis ihr Blick auf mich und Tom fiel, und kam auf uns zu. »Steht auf und lasst euch ansehen«, forderte sie uns freundlich auf.
Als ich gehorchte, zog sie mich an sich, als wollte sie mich umarmen. Mit der rechten Hand umfasste sie meine Schulter, während sie die linke Handfläche auf meinen Scheitel legte. Dann schob sie mich weg und betrachtete ihre Hand, um festzustellen, wie weit genau mein Kopf an ihre Brust reichte. Sie hatte mich abgemessen, um meine Größe zu ermitteln. Allerdings wurde mir der Grund erst klar, als eine Frau empört ausrief: »Um Himmels willen, lassen Sie den Kindern die Kleider. Oder wollen Sie, dass sie hier erfrieren?«
Goodwife Corwin würdigte die Sprecherin keiner Antwort. »Wenn du erst hungrig genug bist, unterhalten wir uns weiter«, sagte sie zu mir. Nachdem sie mein Kinn getätschelt hatte, ging sie hinaus, und Sheriff Corwin schloss wieder ab. »Was will sie mit unseren Kleidern? Ist sie denn so arm?«, flüsterte ich der Frau neben mir zu, als sie fort war.
Die Frau schnaubte verächtlich. »Die und arm? Sie erstickt förmlich im Geld und hat mehr Bares als wir alle zusammen. Erst schwatzt sie uns für Lebensmittel die Kleidung ab, und dann verkauft sie sie auf dem Markt gegen Münzgeld. Sie behauptet, die Sachen seien von Toten, die keine Angehörigen mehr haben.« Zitternd verkroch ich mich
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