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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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abnehmen«, flüsterte Andrew so fassungslos, als höre er die Nachricht zum ersten Mal. Angst trat in seine Augen, und ihm stockte der Atem. »Er wird mir den Arm abnehmen. Tom, er wird mir den Arm abnehmen.« Mit der linken Hand griff er nach Tom und hielt ihn fest. »Lass nicht zu, dass er mir den Arm abnimmt. Lieber will ich tot sein.«
    »Andrew«, sagte ich und zog seinen Kopf fester in meine Arme. Tränen rannen mir in den Mund. »Der Arzt hat gesagt, du müsstest sonst sterben.«
    »Nein«, protestierte Tom da und umfasste Andrews heile Hand. »Du wirst nicht sterben.« Trotzig sah er mich an. »Du wirst nicht sterben, Andrew. Und ich lasse nicht zu, dass er dir den Arm abnimmt. Hast du verstanden?« Er betrachtete Andrew. »Ich werde die ganze Nacht hier sitzen und die nächste und die übernächste auch. Ich passe auf dich auf, Andrew. Niemand nimmt dir den Arm ab.« Er hielt Andrews Hand, bis dieser wieder eingeschlafen war. Als der Sheriff die Zelle aufschloss und den Arzt hereinließ, hatte er sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Der Arzt hatte eine kleine Ledertasche und einen Gürtel in der einen und ein schmales Messer und ein Beil in der anderen Hand.
    »Das Licht wird immer schlechter«, meinte er laut zum Sheriff. »Ich werde mich beeilen müssen. Bleiben Sie an der Tür, falls ich Ihre Hilfe brauche, um ihn festzuhalten.« In der Zelle war es still geworden. Man hörte nur noch geflüsterte Gebete und ein Ratschen, als mürber Stoff zu Verbänden zerrissen wurde. Beim Eintreten des Arztes hielten sich einige junge Frauen die Ohren zu, um die Schreie auszusperren. Ich legte Andrew schützend die Hand über die Augen, damit er den Arzt nicht ansehen musste. Dabei spürte ich Toms Wut wie einen Biss im Nacken. »Bringen Sie mir alles Wasser, das Sie dahaben, und machen Sie Platz«, wandte sich der Arzt an eine der Frauen.
    Als er sich neben Andrew knien wollte, hob Tom abwehrend die Hand. »Nein, wir brauchen Sie nicht. Sie können gehen«, sagte er.
    »Sei nicht albern, Junge. Dein Bruder steht an der Schwelle des Todes, und wenn der Arm nicht abgenommen wird, wird er sie sicher überschreiten. Aber du kannst jetzt für deinen Bruder tapfer sein und seinen anderen Arm festhalten.«
    »Nein«, widersprach Tom mit noch mehr Nachdruck. Der Arzt kauerte auf den Fersen und dachte zweifellos an das Geld, das ihm entgehen würde, wenn er die Arbeit unerledigt ließ. Also griff er nach dem Gürtel, formte ihn zu einer kleinen Schlinge und winkte den Sheriff heran. »Lasst den Jungen doch in Frieden sterben!«, hörte ich eine Frau aus der Dunkelheit rufen. Der Sheriff holte ärgerlich Luft, schloss die Tür hinter sich und kam auf uns zu. Ich spürte, wie Andrews Hand nach meiner tastete. Die Wut kroch mir den Rücken hoch. »Wenn Sie ihn anrühren, verfluche ich sie«, stieß ich mit drohender Stimme hervor. Das Stroh raschelte, als sich die Frauen enger zusammendrängten und darauf warteten, was jetzt geschehen würde.
    Der Arzt drehte sich mit finsterer Miene zu mir um. »Was hast du gesagt?« Allerdings hatte er mich ganz genau verstanden, denn ich hatte ja laut genug gesprochen. Das erkannte ich daran, wie er zusammenzuckte und über die Schulter auf die schemenhaften Gestalten starrte, die da im Dämmerlicht standen, das Haar wild und zerzaust, die Kleider mit menschlichen Ausscheidungen befleckt oder zu leichentuchähnlichen Lumpen zerrissen. Als sich sein ängstlicher Blick wieder mir zuwandte, sah er ein rothaariges, trotziges Kind, das wegen Teufelsanbetung ins Gefängnis geworfen worden war, und schickte sich an, seine Sachen zusammenzupacken. Jedoch gibt es auf der ganzen Welt kein besseres Mittel gegen die Furcht als der aufmunternde Gedanke an eine prall gefüllte Geldbörse. Deshalb hielt er noch einmal inne und musterte Tom argwöhnisch. Dieser saß zwar mit geballten Fäusten da, war jedoch trotz seiner Angriffslust nur ein kleiner Junge. Und so schob der Arzt entschlossen das Kinn vor und rief den Sheriff herbei, um das zu vollenden, wofür er eigens sein Abendessen unterbrochen hatte.
    Ich stellte fest, dass Tom sich aufgeregt nach einer Waffe umsah, um den Arzt in Schach zu halten. Plötzlich hob er eine Hand voll Stroh auf und hielt sie sich ans Gesicht, als habe er einen großen Schatz gefunden. »Jetzt schaffen Sie die beiden endlich weg und halten Sie den da fest, damit wir fertig werden«, wollte der Arzt gerade sagen, als Tom mit seinem Wurfarm ausholte und seinem

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