Die Tochter der Konkubine
berührte mit unendlicher Zärtlichkeit die Narben auf Rubins Schulter.
»Meine Arme und meinen Bauch hat sie ausgelassen«, sagte Rubin bitter. »Beim Pfeifenmachen kannst du die Arme nicht verbergen,
beim Tanzen den Bauch nicht. Für die, die sie unterhält, wären solche Narben hässlich anzuschauen.«
»Sie ist ein Ungeheuer, aber in einem hast du unrecht«, erwiderte Siu-Sing. »Deiner Schönheit hat sie nichts anhaben können.«
Rubin lächelte traurig. »Mag sein. Mein Leben innerhalb dieser Mauern ist erträglich, aber hoffnungslos gewesen, bis jetzt. Aber du bist anders … du gehörst nicht hierher, und ich werde dir helfen zu fliehen.«
Rubin vergoss keine Tränen, als sie Siu-Sing mit dem Funken eines Feuers ansah, das einst stark gewesen war. »Ich habe Bekannte im Wan-Chai-Distrikt der Hongkong-Insel, Leute, die gut zahlen würden, ohne Fragen zu stellen. Sie wissen viel über die gwai-lo -Soldaten und Matrosen, die dort ihr Geld ausgeben. Auch über die reichen Ausländer, die weibliche Gesellschaft suchen. Wenn wir so weit sind, werden wir sie finden.«
Sie fingen an, ihre Flucht zu planen. »Wir dürfen nichts übereilen«, sagte Siu-Sing. »Ah-Jin bringt mir gerade die Sprache meines Vaters bei und andere Dinge, die ich wissen muss. Ich werde von ihr und von denen, die mir besondere Fertigkeiten beibringen, so viel an Wissen aufsaugen wie möglich. Aber die Hure irgendeines Taipans werde ich nicht werden.«
Wenn man ihr nicht beibrachte, Englisch zu sprechen, sich wie eine Kurtisane zu bewegen und zu tanzen und alle Raffinessen der chinesischen wie auch der englischen Etikette zu befolgen, lernte Sing von den Silberschwestern erotische Raffinessen. Die Pfeifenmacherinnen waren allesamt Jungfrauen, Mädchen in ungefähr ihrem Alter, außergewöhnlich schön und ausgesprochen gewandt in der Kunst, Männern und einander zu gefallen. Ursprünglich aus vielen Nationen, wurde jeder der Name eines Edelsteins gegeben, wobei Rubin als Ober-Pfeifenmacherin sie alle überwachte. Jede Schwester hatte ihren eigenen kleinen Raum, dekoriert im Stil ihrer Kultur und mit einem selbstgefertigten Schrein, um die Götter ihres Volkes anbeten zu können.
Gemäß dem Brauch für Pfeifenmacherlehrlinge teilte Sing sich einen Monat lang mit jeder Schwester einen Raum: mit Bernstein aus Japan, berühmt für ihre magischen Füße, so winzig wie die eines Kindes, aber mit Zehen aus Stahl, die Sing beibrachte, einen Mann mit Füßen wohltuender zu massieren als die meisten erfahrenen Hände. Sing lernte, so leicht wie ein Vogel auf den Rücken eines Drachens zu steigen - Muskeln und Sehnen zu finden und zu isolieren, durch jeden Atemzug die Grenzen zwischen Lust und Schmerz zu erkennen. Saphir aus Siam weihte sie in die Geheimnisse des Mischens von Duftölen ein, die die Sinne stimulierten oder betäubten. Smaragd aus Afrika war eine Wahrsagerin und beschlagen in Zaubersprüchen, die Bedürfnisse und Erwartungen eines Mannes auf einen Blick zu erfassen vermochte.
Jade war die einzige reinrassige Chinesin unter ihnen. Sie beherrschte die Künste verborgener Energien, die althergebrachten Techniken der Akupressur. Perle aus Arabien hatte die Freuden des Bads vervollkommnet. Koralle von den Philippinen konnte Mund und Zunge mit erstaunlichem Geschick einsetzen. Kristall, eine weiße Russin, war Meisterin der erotischen Künste, die den Frauen der Zaren beigebracht wurden. Und Türkis aus Tibet studierte die dunklen Sterne und konnte in die Seele eines Mannes blicken.
Die Schwestern hießen Topas willkommen und teilten ihre intimsten Geheimnisse mit ihr, jedoch war Siu-Sing mehr an ihren Geschichten aus fernen Ländern interessiert, weil sie unbedingt möglichst viel über die weite Welt erfahren wollte, die sie erwartete.
Den Unterricht im Pfeifenzubereiten genoss Siu-Sing, da es sie reizte, präzise zu arbeiten. Sie lernte, genau die richtige Menge an Hanf und von der Wurzel der Grasleinenpflanze mit kleinen Opiumkügelchen zu mischen, die nicht größer als die Eier eines fetten Lachses waren. Sie hackte die Mischung mit einem Messer aus Tigerknochen fein, erhitzte sie dann in einem Kupferpfännchen und fügte sie zum Tabak dazu. Durch ihre Kenntnisse in der Kräutermedizin gingen ihr solche Zubereitungen ganz selbstverständlich von der Hand.
In der Taverne der herabstürzenden Juwelen besaß jeder Drache oder Kunde seine eigene Wasserpfeife, die der Obhut der Pfeifenmacherin übergeben wurde. Manche waren mit
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