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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pai Kit Fai
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einrollte und zum Boot hinuntertrug, schlug sein Herz schmerzlich bei dem Gedanken daran, dass er sie verlieren könnte.

    Das Royal Military Hospital war eine exklusive Enklave, reserviert für diejenigen, die in den ausländischen Botschaften oder in den prächtigen Heimen der britischen Regierungsbeamten und der Giganten der Hongkonger Handels - und Industriewelt lebten. Als Toby neben dem Notfalleingang anhielt, war es in Dunst gehüllt.
    Während er mit Sing in den Armen zwei Stufen der gekachelten Treppe auf einmal nahm, kam hinter der Rezeption ein Krankenpfleger mit einem der Rollstühle, die an der Wand gestanden hatten, hervor. Als er sah, dass es sich bei der Patientin um eine Frau in der schlammverkrusteten Tunika und Hose einer chinesischen Bäuerin handelte, die in ein Tigerfell gehüllt war, blieb er abrupt stehen.
    »Das ist eine Frau, Sir«, sagte er. »Eine Chinesin … in einem Tigerfell.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Chinesische Zivilisten können wir nicht aufnehmen, nicht, wenn sie in ein Tigerfell gewickelt sind, Sir.«
    Toby überhörte seinen Protest und schob sich an ihm vorbei durch die Tür.
    »Holen Sie die Oberschwester!«, schnauzte er und legte Sing behutsam auf einen Untersuchungstisch.
    »Aber, Sir …«, stotterte der Krankenpfleger. »Das verstößt gegen die Vorschriften, Sir …«
    »Die Oberschwester! Sofort!«, bellte Toby, und der Pfleger eilte davon.
    Sing wurde unter dem Namen Devereaux aufgenommen, eingetragen von Captain Hyde-Wilkins, und blieb etliche Tage auf der Intensivstation, wegen eines Schienbeinbruchs, der aufgrund sofortiger und fachmännischer Versorgung gut heilte, und zahlreicher Blutergüsse und Abschürfungen, mit dem Risiko leichterer Organschäden und Anzeichen von Flüssigkeit in der Lunge.
    Am fünften Tag, als man sie mit Hilfe von Tobys Einfluss in ein kleines Zimmer verlegt hatte, erschien er mit einem riesigen Strauß rosa, weißer und roter Rosen mitsamt der ausgezeichneten Nachricht, dass Miss Winifred Bramble sich geehrt fühlen würde, wenn
die Tochter von Mr. und Mrs. Benjamin Devereaux sich in ihrem Wohnhaus auf Stonecutters Island erholen würde, sobald sie entlassen war.
    »Oder«, bot er ihr grinsend an, »du heiratest mich, dann kann ich mich um dich kümmern. Oder ist es noch zu früh, um an so etwas zu denken?«
    Einen Augenblick war ihr Herz zu voll, um zu antworten, doch dann betrachtete sie kläglich ihre Verbände. »Ich glaube, es ist gerade nicht die richtige Zeit dazu.«
    Toby nickte und küsste sie sanft auf ihr Haupt. »Verstehe. Und ich muss dir leider noch etwas erzählen.« Er hielt ihr die Hände, als er die unvermeidliche Nachricht überbrachte: Rubins Leichnam war nicht gefunden worden, doch es bestand immer noch die Chance, dass man sie unter den Opfern finden würde. Sing hatte recht gehabt: Der indische Fahrer war so von der kleinen Pfeifenmacherin eingenommen gewesen, dass er nun mit der Gründlichkeit eines militärischen Manövers einen Suchtrupp leitete.
    Falls es Tränen gab, so sah er sie nicht. Sie war eindeutig erschöpft; er ging in aller Stille, dankbar dafür, dass sie in besten Händen war.
    Erst als er fort war, gestattete es sich Sing, der kleinen Pfeifenmacherin mit dem leidenschaftlichen Herzen, das so böse gebrochen worden war, zu gedenken. Viele schlaflose Stunden lang sagte sie sich, dass Rubins Griff schwächer geworden und sie einfach fortgerutscht war; dass sie trotz ihrer ganzen Ausbildung und ihrer verborgenen Kräfte nichts zu Rubins Rettung hätte beitragen können. Meister To hatte ihr nicht erklärt, wie man gegen ein Unwetter anging … nur, dass irgendwann eines kommen werde.
    Wenn Sing nicht gewusst hätte, dass Rubin sich das nicht wünschen würde, hätte sie wie ein Kind geweint.

    Als Sing Devereaux drei Wochen später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bestand sie darauf, direkt ins Dorf Tai-Po gebracht zu werden, um sich selbst ein Bild machen zu können.

    Sie verbrachte zwei Tage in dem hastig errichteten Notlager, in dem Familien sich in der Hoffnung versammelten, Neuigkeiten über ihre Vermissten zu erhalten, und vor Trauer wehklagten, wenn deren Leichname enthüllt wurden. Sie wollte sich an der Suche beteiligen, aber Toby wies sie sanft daraufhin, dass sie die anderen nur aufhalten würde. Auf ihren Wunsch hin begaben sie sich zum Tai-Po-Tempel, zündeten Räucherstäbchen an und baten Kuan-Yin um eine sichere Rückkehr Rubins … oder eine sichere Reise ins

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