Die Tochter der Konkubine
Seite erstreckte sich das Meer bis zum Horizont. Der Wind peitschte tausend weiße Pferde aus tintenblauen Wellen und füllte die geblähten Segel, die über ihr flogen wie himmlische Schwingen.
Der Kapitän setzte sie auf einen Liegestuhl, und Wang deckte sie mit einer Decke warm zu. Brisen sangen in der Takelage neben ihr, und ein Möwenschwarm kreiste und stürzte sich auf unsichtbare Fischschwärme. Der Wind trieb die Golden Sky durch glitzernde Gischtflächen, und die Berge Südchinas kamen stetig näher. Zu ihren Füßen lag - ausgebreitet wie ein Kinderspielzeug - die portugiesische Enklave Macao.
Macao besaß nicht die prächtigen Tempel und Paläste von Hanchow oder Peking, die Betriebsamkeit Shanghais oder Hongkongs oder die malerische Beschaulichkeit der Flusshäfen. Es hieß, Macao gleiche einer aufregenden Frau, die, von ihrem Geliebten verlassen, von der Familie verstoßen und von den Freunden abgelehnt, gründlich auf die schiefe Bahn geraten sei.
Sein Irrgarten aus kopfsteingepflasterten Straßen war gesäumt von Opiumhöhlen, Fan-Tan - und anderen Spielhallen, billigen Gaststätten und Bordellen, die rund um die Uhr geöffnet hatten. Seine Einwohnerschaft bestand aus einer Mischung aus Chinesen, Portugiesen, Macanesen, Indern und ein paar versprengten Arabern und Kamerunern. Darunter, miteinander verbunden wie das Rückgrat einer Schlange, wetteiferte eine mörderische Bruderschaft aus desertierten Europäern mit den von der Triade beschützten chinesischen Taipans und den Kriegsherren um die Kontrolle der Spiel - und Lasterhöhlen.
Die alten Häuser im portugiesischen Stil, die den inneren Hafen säumten, der unter seinem Namen Praia Grande Berühmtheit erlangt hatte - pastellfarbene Rosa-, Blau - und Gelbtöne des Mittelmeers im Kontrast zu den geschwungenen grauen Ziegeln der chinesischen Dächer -, waren von verführerischer Schönheit. Taoistische und buddhistische Tempel und Schreine standen Seite an Seite mit einer dominikanischen Kirche, einer katholischen Kathedrale und einem christlichen Kloster. Das die Bucht überblickende stattliche Gebäude der East India Company dominierte den Boulevard, der zum Gouverneurspalast und anderen großen Villen und Herrenhäusern der ausländischen Botschaften der Stadt führte. Auf dem Kap an der Mündung des Perl - und Westflusses, mit Blick über die Stadt und die äußere Bucht, hatte Ben Devereaux sein Herrenhaus errichtet. In jeder Hinsicht so großartig wie die Schiffe, die er baute, beherrschte es mit seiner Größe und Pracht die Landspitze.
Golden Sky fuhr in die Bucht ein und bewegte sich auf das Dock der Werft und Handelsgesellschaft »Double Dragon« zu. Merkwürdigerweise - andererseits war nun alles merkwürdig für sie - machte Li sich gar keine Sorgen, als sie in Bens Armen die Gangway hinuntergetragen wurde. Seinen Geruch empfand sie inzwischen als tröstlich und vertraut und gar nicht mehr befremdlich. Ein junger Chinese, angetan mit der schicken perlgrauen Uniform und der Mütze eines Chauffeurs, stand neben einem wartenden Automobil, dem ersten, das sie je erblickte und das so erstaunlich
war, wie alles von diesem Augenblick an nun sein würde. Als dem Chauffeur befohlen wurde, ihr in den Fond des Wagens zu helfen, kam er dem sofort nach und beugte sich herein, um es ihr bequem zu machen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch als er sie kurz ansah, lag Missgunst in seinem Blick. Sie fuhren durch verkehrsreiche Straßen, einen breiten und belebten Boulevard entlang und die gewundene Küstenstraße zur Landzunge hinauf. Dort öffneten sich vor ihnen große Eisentore mit einem Paar goldener Drachen darauf. Beiderseits starrten Steinlöwen auf sie herab.
Die leitende Amah von »Sky House« betrachtete das Mädchen vor sich mit unverhohlener Abneigung. Auch wenn sie es nicht sagen konnte, ärgerte sie sich sehr darüber, dass ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung ein heimatloses chinesisches Mädchen in ihren Herrschaftsbereich gebracht wurde. Ah-Geet, der Chauffeur, hatte das Mädchen mit ausdruckslosem Gesicht durch die vornehme Eingangshalle einen breiten Korridor entlang in einen kleinen, hellen Raum getragen und sie auf ein sauber riechendes Bett gelegt. Li war sich nicht ganz sicher, ob sie ihn vor dem Verlassen des Raums nicht das Wort »cheep-see« - Hure - hatte flüstern hören.
Ihr Mut sank beim Anblick eines Gesichts, das sie an Ah-Jeh erinnerte, wie sie mit offensichtlichem Argwohn auf sie herabblickte. Diese Frau war
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