Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
erneut der große Ernst in Guthenfels’ Blick auf, und sie tat ihm den Gefallen und versuchte sich noch einmal jene schrecklichen Momente vor Augen zu rufen, in denen sie durch das allen Lebens beraubte Dorf geirrt war. Schließlich aber schüttelte sie nur stumm den Kopf.
Guthenfels seufzte tief. »Aber du hast Guy de Pardeville auf dem Rückweg getroffen«, vergewisserte er sich.
»Ja. Aber –«
»Dann haben sie das Dorf niedergebrannt?«, fragte Vera stirnrunzelnd.
»Aber warum, wenn doch alle schon tot waren?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Guthenfels. »Vielleicht um Erik und seine Familie noch mehr in Misskredit zu bringen oder um irgendwelche Spuren zu verwischen, Wir werden es herausfinden.« Er drehte sich ganz zu der schwarzhaarigen Frau um. »Umso wichtiger, dass du uns an den Hof begleitest und dort erzählst, was in Santen passiert ist. Und du auch«, fügte er an Katharina gewandt hinzu.
»Am Hof?«
»Was hast du gedacht, wohin wir unterwegs sind, Kind?«, fragte Guthenfels lächelnd. »Ich habe deinem Großvater versprochen, dass ich die Sache aufklären werde, und ich bin ein Mann, der sein Wort hält. Es spielt keine Rolle, ob sie fortgegangen sind oder nicht. Es ist unsere Aufgabe, in diesem Land für Frieden und Ordnung zu sorgen. Wenn tatsächlich Guy de Pardeville hinter dieser Verschwörung steckt, dann werde ich dafür sorgen, dass er dafür zur Rechenschaft gezogen wird.«
»Wann ist einer wie Pardeville jemals für irgendetwas zur Verantwortung gezogen werden?«, schnaubte Vera. Guthenfels warf ihr zwar einen ärgerlichen Blick zu, beließ es zu KatharinasÜberraschung aber dabei, und Vera fügte noch hinzu: »Er hat doch schon gewonnen.«
»Ja, so mag es aussehen«, sagte Guthenfels finster. »Und vielleicht ist es sogar gut, wenn er selbst das im Moment glaubt. Aber noch ist die Angelegenheit nicht vorbei. Gottes Mühlen mahlen langsam, und die der Gerichtsbarkeit manchmal noch langsamer, aber sie mahlen, verlass dich darauf.«
Anscheinend tat sie das nicht, denn Vera verzog noch einmal geringschätzig die Lippen, war allerdings klug genug, Guthenfels’ Geduld nicht über die Maßen zu strapazieren, und ließ es dabei bewenden. Auch der Adlige sagte nichts mehr, sondern wandte sich wieder um und ließ seinen Blick aufmerksam über das Ufer tasten; vor allem, als die Vegetation allmählich wieder näher ans Ufer heranrückte. Etwas an diesem Anblick schien ihn zu beunruhigen, und Katharina musste plötzlich wieder an den Morgen denken, als sie das Funkeln von Metall im Unterholz auf der anderen Seite gesehen hatte. Katharina hütete sich, eine entsprechende Frage zu stellen, aber sie fragte sich doch beunruhigt, ob es vielleicht einen Grund gab, aus dem sich das Schiff die ganze Zeit über so peinlich genau in der Flussmitte hielt; und damit so weit wie möglich von beiden Ufern entfernt.
Für eine ganze Weile – mehr als ausreichend, um aus ihrem vagen Unbehagen nagende Furcht zu machen – standen sie weiter stumm nebeneinander da und betrachteten das langsam vorüberziehende Ufer, und schließlich wandte sich Guthenfels mit einem fast unhörbaren Seufzen ab und ging zum Bug, um den Männern dort irgendwelche Anweisungen zu geben.
Katharina wartete darauf, dass Vera nun ebenfalls ging – so wie sie ihr den ganzen Tag über schon aus dem Weg gegangen war, soweit sie das auf dem winzigen Schiffchen überhaupt konnte –, aber sie blieb nicht nur weiter neben ihr stehen, sondern sah sie auch unübersehbar auffordernd an. Katharina wusste nicht zu sagen, was sie eigentlich von ihr erwartete. Immerhin rang sie sich ein angedeutetes Lächeln ab, und das schien Vera als Aufforderung schon vollkommen zu genügen.
»Hast ja eine Menge mitgemacht, Kleines«, sagte sie.
»Es geht«, antwortete Katharina einsilbig. »Und hör endlich auf, mich Kleines zu nennen. Und auch nicht Kind«, fügte sie noch rasch hinzu, als Vera zu einer Antwort ansetzte. »Ich habe einen Namen.«
»Ich glaube, sogar gleich mehrere«, erwiderte Vera ungerührt. »Welcher darf es denn sein?«
Ganz impulsiv wollte sie mit ›Kara‹ antworten, der Name, den Ansgar ihr gegeben hatte, aber dann zögerte sie. Vielleicht war das tatsächlich ihr Name, aber er war auch untrennbar mit dem Leben verbunden, das sie vielleicht niemals leben würde. Selbst wenn Arla Wort hielt, würde es mindestens ein Jahr dauern, bis sie Erik und sie und alle anderen wiedersah. Ein Jahr war eine unglaublich lange Zeit,
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