Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
Augenblicke aufzuspüren und einzuholen. Offensichtlich hatte Vera Recht, dachte sie, niedergeschlagenund zornig zugleich. Der Herr dieser Burg tat sich leicht damit, Großzügigkeit zu zeigen, wenn es in Wahrheit nichts gab, was er zu verschenken hatte.
Das intensive Gefühl, angestarrt zu werden, riss sie aus ihren Gedanken. Fast schon erschrocken drehte sie sich herum und sah zu ihrem schweigsamen Begleiter zurück, doch dieser blickte nicht einmal in ihre Richtung, sondern hatte sich gemächlich gegen den Torbogen gelehnt und döste mit halb geschlossenen Augen im Sonnenlicht vor sich hin.
Aber das Gefühl blieb. Katharina sah nach rechts und links – nirgends war eine Menschenseele zu erkennen – und hob dann mit einem Ruck den Kopf in den Nacken und gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie in einem der schmalen Fenster zwei Manneslängen über ihr ein Schatten verschwand. Jemand hatte sie beobachtet.
Daran hätte nichts Ungewöhnliches sein sollen, aber die Erkenntnis beunruhigte sie ganz im Gegenteil mit jedem Moment mehr.
Katharina schalt sich in Gedanken zum wiederholten Male einen Dummkopf, versuchte ihre verwirrenden Gefühle abzuschütteln und erreichte damit natürlich nur genau das Gegenteil. Zutiefst verstört machte sie kehrt, ging mit demonstrativ trotzig in den Nacken geworfenem Kopf an ihrem Bewacher vorbei und steuerte die Tür an, durch die sie gerade herausgekommen war.
Nach dem hellen Sonnenlicht und der Weite draußen kam ihr selbst die großzügig geschnittene Eingangshalle der Burg wie ein finsteres Verlies vor, und im allerersten Moment hatte sie das Gefühl, kaum noch richtig atmen zu können.
Das hallende Echo schneller Schritte meldete Pardevilles Kommen an, noch bevor er am oberen Ende der breiten Treppe auftauchte. Anders als noch vorhin trug er jetzt wieder Waffen und seine volle Rüstung, und selbst den klobigen Helm hatte erunter den linken Arm geklemmt. Ein Anblick, der unangenehme Erinnerungen in Katharina wachrief.
Allerdings lächelte er, während er rasch die Treppe herunterkam, und das so ehrlich, dass man meinen konnte, er hätte Katharina seit Wochen vermisst und freue sich nun, sie wiederzusehen.
Beinahe hätte Katharina ihm sogar geglaubt.
»Du hast dich schon ein bisschen umgeschaut, wie ich sehe?«, begann er. »Das ist gut. Ich hoffe, mein bescheidenes Heim gefällt dir?« Er beantwortete seine eigene Frage mit einem Kopfnicken und machte zugleich ein übertrieben wehleidiges Gesicht. »Es ist recht ansehnlich, aber nichts gegen das Schloss meiner Väter, in dem ich aufgewachsen bin. Du hättest Château de Pardeville sehen sollen, mein Kind!«
»Ich habe Vera gesehen«, antwortete Katharina.
Des fast melancholische Ausdruck auf Pardevilles Gesicht verschwand wie weggeblasen. »Und?«, fragte er.
»Warum habt Ihr sie in den Kerker geworfen?«, fragte Katharina. »Und noch dazu in Ketten gelegt? Sie hat nichts getan!«
Diesmal war sie zu weit gegangen, das spürte sie. In Pardevilles Gericht bewegte sich kein Muskel, aber seine Augen flammten in schierer Wut auf, und seine Rechte schloss sich so fest um den Schwertgriff an seinem Gürtel, dass das dünne Kettengeflecht seines Handschuhs klickte.
Doch statt sie für ihren unverschämten Ton zurechtzuweisen (oder gar mehr zu tun), wandte er sich mit noch immer wie versteinert wirkendem Gesicht an ihren Begleiter.
»Ist das wahr?«, fragte er eisig.
»Aber Herr! Ihr habt doch selbst –«
»Ich habe befohlen, sie zu bewachen und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht flieht«, unterbrach ihn de Pardeville. »Nicht, sie ins Verlies zu werfen, und schon gar nicht, sie in Ketten zu legen oder gar zu misshandeln!«
»Aber ich habe doch nur –«
»Geh!«, zischte de Pardeville. »Bring die Gefangene in eines der Turmzimmer, und stell eine Wache vor die Tür, die dafür Sorge trägt, dass ihr nichts geschieht! Du haftest mir persönlich für ihre Sicherheit, hast du das verstanden?«
»Ja, Herr«, antwortete der Mann hastig, senkte demütig das Haupt und entfernte sich rückwärtsgehend und sehr schnell. Pardeville blickte ihm kopfschüttelnd und mit finsterem Gesicht nach.
»Merke dir eine der einfachen, aber wichtigen Wahrheiten des Lebens, mein Kind«, seufzte er. »Wenn du wirklich sicher gehen willst, dass etwas in deinem Sinne geschieht, dann erledige es selbst.«
Er sah Katharina eindeutig Beifall heischend an, als hätte er ihr gerade tatsächlich den Sinn des Lebens oder etwas ähnlich
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