Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
außerdem ist sie viel zu alt.« Sie schüttelte bekräftigend den Kopf; vielleicht sogar ein bisschen zu heftig. »Sie könnte deine Großmutter sein.«
Natürlich hatte sie damit Recht, ganz davon abgesehen, dass Katharina es gespürt hätte, wäre diese alte Frau mehr gewesen als eben nur eine alte Frau. Dennoch hatte sie einen Moment lang Mühe, sich ihre Enttäuschung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
»Und warum sieht sie mich dann immer so komisch an?«
»Weil das jeder hier tut?«, schlug die Gauklerin vor. Dwegr keckerte zustimmend und schnitt ihr eine Grimasse, die sie beinahe zum Lachen gebracht hätte. »Du bist eine Berühmtheit, Kleines, ob dir das nun gefällt oder nicht.«
»Ich?«
»Na, ich bestimmt nicht«, spöttelte Vera. »Ich weiß noch nicht genau, warum du für Pardeville so wichtig bist, aber du bist es. Eine Zeitlang habe ich gedacht, er wollte dich einfach behalten und ein paar Jahre abwarten, aber da muss noch mehr sein.«
»Was meinst du damit? Worauf warten?«
»So naiv kannst du nicht sein, oder?«, fragte Vera, maß sie mit einem langen, stirnrunzelnden Blick und seufzte dann tief. »Doch«, sagte sie dann, »das kannst du. Lass es mich so sagen: Du bist ein hübsches Mädchen, und schon in einem oder zwei Jahren wirst du eine sehr schöne junge Frau sein. Dein Haar wird wachsen, und das eine oder andere …« Sie sah sie noch sonderbarer und noch länger an. »… wird sich entwickeln«, schloss sie.
Katharina sah sie verständnislos an.
»Aber mach dir darüber keine Sorgen«, fuhr Vera fort. »Pardeville ist kein geduldiger Mann. Er wird gewiss nicht zwei Jahre auf etwas warten, was er sofort haben könnte. Da muss noch etwas anderes sein. Edith wusste es nicht genau, aber sie meint, dass du von großem Wert für ihn bist. Es hat etwas mit deiner Herkunft zu tun, glaubt sie. Aber mehr weiß sie auch nicht. Noch nicht.«
»Ich?«, murmelte Katharina nur noch einmal.
»Wir finden es heraus, keine Sorge«, versprach Vera.
Jetzt sagte Katharina nichts mehr. Sie glaubte Vera sogar, dass sie hinter Pardevilles (und damit auch ihr) Geheimnis kommen würde.
Aber vielleicht war es gerade das, wovor sie Angst hatte.
Sie verbrachte noch fast den ganzen restlichen Tag bei Vera, und sie sprachen über dies und das, über Gott und die Welt und alles Mögliche, ohne dass sie diesem einen Thema noch einmal nahe gekommen wären. Katharina erfuhr eine Menge nicht nur über Vera und ihren Bruder, sondern auch über ihr Leben und vor allem ihre Sippe, in der längst nicht alle wirklich miteinander verwandt waren – eigentlich nur die wenigsten –, die aber trotzdem wie eine einzige große Familie zusammenhielt, füreinander sorgte und wie Vera zugab, manchmal auch wie eine ebensolche untereinander stritt. Vieles von dem, was sie über das Leben des Fahrenden Volkes hörte, erstaunte sie, und bei dem einen oder anderen Abenteuer oder Wunder, von dem Vera berichtete, vermutete sie, dass es zumindest übertrieben, wenn nicht gleich ganz ausgedacht war, weil die Gauklerin sie beeindrucken wollte.
Aber eigentlich machte das nichts. Katharina hing wie gebannt an ihren Lippen und sog jedes einzelne Wort in sich auf, um es wie einen kostbaren Schatz zu hüten, erzählte Vera doch von einem Leben und einer Welt, die ihr bisher vollkommen fremd gewesen waren.
Sie selbst trug nur sehr wenig zu der Unterhaltung bei, zum einen, weil sie Vera nicht die Zeit stehlen wollte, von ihren Abenteuern in fremden Ländern zu erzählen, zum anderen, weiles nicht sehr viel gab, was sie hätte erzählen können. Das Leben in Ellsbusch hatte nicht viel Abwechslung geboten, und die meisten Erinnerungen, die sie hatte, waren eher unangenehmer Natur, sodass sie wenig Vergnügen dabei empfunden hätte, über sie zu reden.
Im Gegenteil. Je länger sie Vera zuhörte, desto stärker wurde in ihr der Wunsch, einfach vergessen zu können, was bisher gewesen war, und desto klarer wurde ihr, dass ihr Leben – ihr eigentliches Leben! – im Grunde erst vor wenigen Wochen begonnen hatte, an dem Tag nämlich, an dem sie Ansgar und den anderen begegnet war. Sie musste noch einmal an ihr letztes Gespräch mit Arla denken, und ihr wurde jetzt endgültig klar, wie sehr sich Arla getäuscht hatte. Wenn es einen Platz auf der Welt gab, an den sie gehörte, dann war er bei ihr und ihrer Familie, ganz gleich, wie kalt und unwirklich das Land auch sein mochte, in das sie unterwegs waren, und welche Gefahren sie dort
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