Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
das verstanden? Und schaff mir dieses stinkende Vieh aus den Augen!«
*
Katharina war überrascht, festzustellen, dass Pardeville sein Wort gehalten hatte: Der Wächter führte sie nicht wieder hinab ins Verlies, sondern in die entgegengesetzte Richtung und wieder hinauf in den Turm, in dem sie die zurückliegenden beiden Tage zugebracht hatte. Sie begann schon zu argwöhnen, dass sie Pardeville abermals hereingelegt und der Mann nur den Auftrag hatte, sie mit wenigst möglich Aufsehen wieder zurück in ihre eigene luxuriöse Kerkerzelle zu bringen, doch sie verließen die Treppe eine Etage vorher, und ihr schweigsamer Begleiter gestikulierte ungeduldig nach rechts in einen Korridor hinein. An seinem Ende befand sich eine niedrige Tür, die fast so massiv aussah wie das große Tor unten im Hof, aber einen Spalt breit offen stand. Katharina entging jedoch weder der schwere Riegel noch das wuchtige eiserne Schloss, das von außen daran angebracht war.
Immer noch ohne ein einziges Wort bedeutete er ihr, weiterzugehen und das Zimmer zu betreten, rührte sich selbst aber nicht von der Stelle, um ihr zu folgen. Katharina gehorchte, aber sie gab sich jetzt nicht einmal mehr die Mühe, ein abfälliges Verziehen der Lippen zu unterdrücken. Der Mann war ihr die Treppe hinauf mit größerem Abstand gefolgt als zuvor, und er hatte zwar sein Möglichstes getan, um seine Angst zu verbergen, aber es hatte nicht gereicht. Sein Blick ließ das keifende Äffchen auf ihrer Schulter keinen Moment lang los, und er war sehr blass geworden – und fast schon selbstverständlich schien Dwegr seine Furcht zu spüren und keifte und kreischte nicht nur in seine Richtung, sondern schnitt ihm auch die bedrohlichsten Grimassen.
Dann betrat sie das Zimmer und vergaß sowohl den abergläubischen Wachtposten als auch alles andere.
Das Zimmer war nicht so groß und nicht in so verschwenderischer Pracht eingerichtet wie das ihre, aber es war ein richtiges Zimmer mit einem Fenster und sogar einem Kamin, und statt auf faulendem Stroh lag Vera in einem richtigen Bett.
Sie war nicht allein. Niemand anderes als Edith saß neben ihr auf der Bettkante und war gerade damit beschäftigt, die schlimme Wunde an ihrem Knöchel zu verbinden, wo der eiserne Ring Veras Haut aufgerissen hatte. Auch darüber hinaus war sie offenbar nicht untätig gewesen. Veras Gesicht und Hände waren jetzt sauber, und sie trug ein einfaches, aber sauberes weißes Nachthemd. Wenn man genauer hinsah, bot sie immer noch einen Anblick zum Gotterbarmen – aber er war nicht mehr annähend so schlimm wie noch vor wenigen Stunden.
»Katharina!« Vera setzte sich halb auf, als sie hereinkam – was nicht nur ihr selbst, sondern auch Katharina einen vorwurfsvollen Blick der grauhaarigen Köchin einbrachte –, und setzte dazu an, noch mehr zu sagen, doch Dwegr kam ihr zuvor, indem er mit einem einzigen Satz von Katharinas Schulter herab und bis zum Bett sprang, wo er mit lautstarkem Geschnatter und Gekreisch regelrecht über die Gauklerin herfiel. Vera ließ seine reichlich grobe Wiedersehensfreude eine Zeitlang lachend über sich ergehen, bevor sie sich noch weiter aufsetzte und das Äffchen mit sanfter Gewalt von sich wegschob, oder es wenigstens versuchte.
»Was hat dieses schmutzige Tier hier zu suchen?«, beschwerte sich Edith. »Ich kann dich nicht verbinden, solange es da ist. Weg mit dir, du kleines Scheusal!«
Und damit versuchte sie, Dwegr mit einer wedelnden Handbewegung fortzuscheuchen, was keine wirklich gute Idee war. Vermutlich büßte sie nur deshalb nicht einen oder gleich mehrere ihrer Finger ein, weil sie die Hand genauso schnell wieder zurückzog, als das Äffchen nach ihr schnappte.
»Schon gut«, sagte Vera rasch. »Er wird mir nichts tun. Er ist mein bester Freund.« Sie zog Dwegr mit beiden Händen an sich und vergrub für einen Moment das Gesicht in seinem weichen Fell. Ihre Augen sahen noch immer so müde und voller Schmerz aus wie am Morgen, aber für einen Moment strahlten sie trotzdem.
»Vielen Dank, dass du ihn zurückgebracht hast«, sagte sie schließlich. »Wo ist er hergekommen?«
Katharina antwortete mit einem Kopfschütteln und erzählte ihr dann, was sich gerade unten im Hof zugetragen hatte. Dwegr kommentierte jedes ihrer Worte mit aufgeregtem Geschnatter und noch aufgeregterem Herumfuchteln mit seinen winzigen Händchen, und Vera unterbrach sie zwar kein einziges Mal, sah aber tatsächlich ein paarmal und sehr nachdenklich das Äffchen
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