Die Tochter der Seidenweberin
Berchem-Schwestern haben gut daran getan …« Abrupt unterbrach er sich und starrte Lisbeth zornig an. »Herman war ein Bastard wie ich. Warum sollte er das alles hier für sich allein haben? Das Kontor, die Wolkenburg? Du weißt ja gar nicht, wie das ist, ein Bastard zu sein!«, brach es aus ihm heraus.
»Mertyn hat dich stets wie einen Bruder behandelt«, warf Lisbeth betroffen ein, doch weiter ließ Stephan sie nicht zu Wort kommen. »Ja, Mertyn kann leicht großmütig sein, er steht fein da!«, fuhr er fort zu zürnen. »Er hat alles, was man sich wünschen kann. Einen guten Namen, eine Frau wie dich … Und was habe ich? Ich muss mich als Kaufmannsgehilfe durchschlagen! Das Kontor stünde mir mit der gleichen Berechtigung zu wie Herman! Ist es da so verwerflich, dass ich ein wenig für meine Mühen abgezweigt habe? Schließlich habe ich all die Geschäfte allein getätigt. Da steht mir, verdammt noch einmal, mehr zu als der traurige Lohn eines Gehilfen!« Stephan schnaubte vernehmlich durch die Nase.
Entgeistert starrte Lisbeth ihn an. Sie wusste nicht, was sie seiner Wut entgegenhalten sollte. Für seine Mühen verdiente Stephan sicher mehr als den Lohn eines Gehilfen. Aber Fygen hatte ihm gewiss auch mehr gezahlt. Wie er jedoch auf die Idee verfallen könnte, Rechte an dem Kontor zu haben, war ihr schleierhaft.
Doch da war noch etwas anderes, das Lisbeth irritierte. Etwas, das Stephan eben im Zorn gesagt hatte. Über die Berchems. Und über Herman. »Die Berchem-Schwestern haben woran gut getan?«, fragte sie. »Seger färbt Seide für die Berchems. Waren sie es? Haben sie ihn genötigt, Alberto zu verleumden?« Damals schon waren Lisbeths Vermutungen in diese Richtung gegangen, doch Herman hatte sie zerstreut. »Aber woher wussten sie …«
Stephan schnaubte gehässig, und Lisbeth spürte, wie eine eisige Kälte in ihr aufstieg. Stephan hatte um das gefährliche Geheimnis ihres Bruders gewusst. Er war dabei gewesen, als Lisbeth Herman und Alberto bei ihrem Liebesspiel überrascht hatte. Und wie sich jetzt zeigte, hatte er ein Motiv gehabt, Herman übelzuwollen! Denn solange Herman sich um die Geschäfte seiner Mutter kümmerte, war es Stephan natürlich unmöglich, Geld beiseitezuschaffen. Also musste er Herman loswerden.
»Du warst es!«, brachte Lisbeth heiser hervor. »Du hast diesen perfiden Plan ausgeheckt. Du hast den Berchems den Wink gegeben. Herman war ihnen unangenehm wegen seiner Entscheidungen im Rat. Sie wollten ihn liebend gern loswerden. Also haben sie Seger unter Druck gesetzt. Wie … wie …« Lisbeth suchte nach Worten.
»Wie heimtückisch du das eingefädelt hast! Seger bezichtigte Herman nicht direkt, sondern Alberto. Aber er wählte die Wolkenburg als Ort für die vorgetäuschte Tat. So konntest du sicher sein, dass Herman mit hineingezogen wurde. Du kanntest Herman von Kind auf. Du konntest nicht wissen, dass er Alberto auf den Scheiterhaufen folgen würde, aber du wusstest, dass er stets davonlief, wenn es schwierig für ihn wurde. Damit hättet ihr euer Ziel erreicht – du und die Berchems!« Lisbeth verstummte. Sie vermochte das alles nicht zu fassen. Es war doch Stephan, der vor ihr stand. Der Mann, dem sie vertraut, ja, den sie geliebt hatte. Und dem sie sich hingegeben hatte.
Voller Entsetzen schlug sie die Hände vor das Gesicht. Wenn sie das geahnt hätte! Wie hatte er sich all die Jahre so verstellen und seinen Hass so in sich hineinfressen können? Wie ahnungslos sie alle gewesen waren!
»Wie klug du bist, Lisbeth.« Stephan lachte böse. »Aber jetzt wirst du selbst einen Bastard großziehen«, sagte er schneidend und baute sich drohend vor ihr auf. »Denk daran, du hast mehr zu verlieren als ich. Wenn du mich verrätst …«
Lisbeth stieß einen gellenden Schrei aus. Doch nicht vor Angst. Ein scharfer Schmerz war ihr in den Leib gefahren. Sie schlang die Arme um den Leib und krümmte sich in ihrem Sessel zusammen. So stark war der Schmerz, dass sie nicht aufhören konnte zu schreien.
Die Tür wurde aufgerissen, und Maren stürzte herein, gefolgt von der hageren Hilda.
Die alte Haushälterin erfasste mit einem Blick, wie es um Lisbeth stand. »Das Kind kommt! Wir müssen sie hinauf in eine Kammer bringen. Los«, befahl sie Stephan und Maren barsch. »Fasst mit an!«
Stephan griff Lisbeth unter die Arme, während Maren sie um die Hüften fasste, und gemeinsam halfen sie ihr auf die Füße. Für einen Moment ließ der Schmerz nach, und Lisbeth gelang es,
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