Die Tochter der Seidenweberin
sich durch den Flur und die steinerne Treppe hinaufzuschleppen. Hilda führte sie in eine Kammer im Obergeschoss, just in jenen Raum, der einst Hermans Kammer gewesen war und in dem Lisbeth ihren Bruder und Alberto beobachtet hatte.
Sobald sie die Schwelle überschritten hatte, durchfuhr Lisbeth erneut der Schmerz und schien sie schier zu zerreißen. Wieder begann sie zu schreien. Energisch schob Hilda Stephan aus der Kammer und schloss die Tür hinter ihm, während Lisbeth sich auf die Bettstatt niedersinken ließ.
Die Wehen kamen in überraschend schneller Folge. Kaum dass Lisbeth dazwischen Atem zu schöpfen vermochte. Hilda befahl Maren, heißes Wasser zu bereiten und nach Jost zu suchen. Der Knecht solle ins Haus Zur Roten Tür laufen, um den werdenden Vater zu unterrichten.
Schweißüberströmt krümmte Lisbeth sich auf der Bettstatt. Sie vermochte nicht zu sagen, ob es Minuten dauerte oder Stunden. Unablässig quälten sie die Wehen.
Dann drang ein einzelnes Wort durch den Schmerz hindurch bis in ihr Bewusstsein: Feuer!
Maren und Hilda packten die Kreißende, und mit Mühen gelang es ihnen, Lisbeth von der Bettstatt aufzuhelfen. Im Flur kroch ihnen dunkler Rauch entgegen, trieb ihnen Tränen in die Augen und brachte sie zum Husten.
Lisbeth biss die Zähne zusammen. Schwer auf die beiden Frauen gestützt, versuchte sie, so schnell es eben ging, sich die Treppe hinabzuschleppen. Sie hatte bereits die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht, als ihr die nächste Wehe mit Macht durch den Leib fuhr. Die Beine sackten unter ihr weg, und mit einem Schrei stürzte sie die letzten Stufen hinab. Am Fuß der Treppe blieb Lisbeth liegen. Dichter Rauch hüllte sie ein, drang ihr in Mund und Nase und nahm ihr den Atem. Vor ihren Augen tanzten dunkle Punkte, und sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden. Starke Hände griffen nach ihr und hoben sie hoch. Dann umfing Lisbeth eine erlösende Schwärze.
Doch ihre Ohnmacht währte nicht lang. Kaltes Wasser, das ihr ins Gesicht spritzte, riss Lisbeth aus dem wohltuenden Dunkel, und sogleich war auch der Schmerz wieder da. Gierig schnappte sie nach Luft und erkannte vage, dass man sie in den Hof hinausgebracht hatte.
Schrill klang ihr der Ton der Feuerglocke in den Ohren, übertönte das aufgeregte Rufen aus vielen Kehlen. Bläulicher Rauch drang aus einem Fenster im Erdgeschoss, und Männer hasteten mit leeren Eimern an ihr vorbei zum Brunnen im Hof, dann mit gefüllten zurück ins Haus, Gesichter und Kleidung vom Ruß verschmiert.
Die nächste Wehe drohte erneut Lisbeth das Bewusstsein zu rauben, so scharf war der Schmerz. Mit einem verzweifelten Schrei bäumte sie sich auf. Dann spürte sie, wie das Kind zwischen ihren Beinen hervorglitt, seinem eigenen Leben entgegen.
Der Schmerz ließ nach, und erschöpft rang Lisbeth um Luft.
»Gott sei es gedankt! Ihr habt es geschafft!«, keuchte Hilda, nicht weniger atemlos als Lisbeth. »Ein kräftiger kleiner Kerl!« Liebevoll reichte sie Lisbeth das Kind. Anders als die Frauen schien es nicht außer Atem, denn mit einem kräftigen Schrei tat es seine Ankunft auf Erden kund.
Zärtlich barg Lisbeth den Jungen an ihrer Brust, und eine Woge des Glückes durchflutete sie. Ihr Kind! Sie hatte ihr Kind zur Welt gebracht! Und es war gesund und kräftig. Ihr sehnlichster Wunsch war endlich in Erfüllung gegangen.
Vorsichtig strich Lisbeth mit dem Finger über den dunklen Schopf dichten Haares, der das winzige Köpfchen bedeckte. Für einen kurzen Moment öffnete ihr Sohn die Augen und blickte sie aus dunkelblauen Augen an, bevor er sein Gesicht wieder zu einer knittrigen Grimasse zusammenzog, und Lisbeth konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen des Glückes über die Wangen rannen.
Im Hof wurde es mit einem Mal still. Das Hasten erstarb, und die Feuerglocke hörte auf zu schlagen. Man hatte den Brand gelöscht.
»Nur das Kontor! Zum Glück hat nur das Kontor gebrannt!« Deutlich drang der Satz an Lisbeths Ohr.
Die Männer, Bewohner und Knechte der benachbarten Häuser, die geholfen hatten, den Brand zu löschen, stellten ihre Eimer beiseite und traten verlegen von einem Fuß auf den andern.
Lisbeth wurde klar, welch befremdliches Bild sie abgeben musste, wie sie da auf dem Pflaster des Hofs lag, ihr Neugeborenes im Arm und beschmutzt von ihrem eigenen Blut.
»Dann wollen wir mal«, sagte einer der Männer. »Ist ja alles gutgegangen.«
»Ja«, pflichtete ein anderer bei. »Wenn die Flammen auf das ganze Haus übergegriffen
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