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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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ihren Diensten zufrieden zu sein. So wie auch Grete mit dem Arrangement, das sie getroffen hatten, höchst zufrieden war – freilich erst, nachdem sie die Bedingungen des Geschäftes ein wenig zu ihren Gunsten abgeändert hatte.
    Brigitta van Berchem war klug. Doch nicht klug genug für Grete. Sie hatte nicht bemerkt, dass Grete den Weberinnen statt der dreihundert, die sie von Brigitta bekommen hatte, nur zweihundertachtzig pro Zentner gezahlt und die Differenz von zwanzig Gulden, anstatt sie Brigitta zurückzugeben, in die eigene Tasche gesteckt hatte. Fünf Zentner mal zwanzig Gulden mal acht Weberinnen. Dazu die fünfzig Gulden, die Brigitta ihr als Lohn für ihre Dienste gezahlt hatte – alles in allem ein wirklich hübscher Gewinn!
    Vergeblich hatte Grete versucht, mehr zu fordern als fünfzig Gulden, denn Brigitta wusste nur zu gut, welche Genugtuung es Grete bereiten würde, der verhassten Lisbeth Ime Hofe, mit der sie ohnehin noch eine Rechnung offen hatte, seit diese Mettel aus dem Geckenhaus geholt hatte, das Spiel zu verderben – schließlich hatte sie dieser einen ausgedehnten Aufenthalt im Frankenturm zu verdanken.
    Auf meine Weise bin ich nun zu einem angemessenen Gewinn gekommen, dachte Grete mit einem gehässigen Grinsen. Vielleicht war Brigitta ihr nicht auf ihre Schliche gekommen, weil diese in ihrer Selbstherrlichkeit gar nicht auf den Gedanken käme, dass man sie hintergehen könnte?
    Andererseits: Wie hätte sie es auch erfahren sollen? Die Weberinnen hatten es ihr sicher nicht erzählt, denn sie wussten ja nicht, dass Brigitta hinter Gretes neuer Tätigkeit als Seidenhändlerin und Verlegerin steckte. Grete hatte die Seide bei den Weberinnen abgeholt, sie zum Spinnen gebracht und den Weberinnen wieder zurückgebracht. Sie hatte mit Brigittas Geld die Löhne gezahlt und die Seide abgeholt. Und wie anders als von ihnen hätte Brigitta es erfahren sollen?
    Grete befühlte den Braten mit dem Finger. Er war noch heiß, aber er dampfte nicht mehr. Sie überlegte gerade, ob sie ihn noch einmal in den Ofen schieben sollte, als zu ihrem Ärgernis ihre Mutter Mettel in die Stube trat – augenscheinlich vom Duft des Bratens aus ihrer Kammer hervorgelockt, denn sie schnüffelte genießerisch.
    Gekochte Klöße wären eine feine Krönung für den Braten, dachte Grete, doch es machte Arbeit, die Kartoffeln zu Teig zu reiben, Klöße zu formen und sie zu kochen. So lange mochte sie nicht warten, denn angesichts der knusprig glänzenden Haut der Gans lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Gierig entschied Grete sich dafür, den Braten sogleich auf den Tisch zu bringen. Er war groß genug, dass sie davon auch ohne Klöße satt wurden – auch wenn sie sicher war, dass Mettel einen Großteil des Vogels in ihren gefräßigen Rachen schaufeln würde.
    Lange schon hatte Grete keine solche Köstlichkeit mehr bekommen, so wie sie sich in den vergangenen Monaten auch wohlweislich jede sonstige Annehmlichkeit versagt hatte. Schließlich war sie nicht so dumm, ihren neu erworbenen Reichtum zur Schau zu stellen, damit Brigitta sogleich argwöhnisch wurde.
    Grete eilte in die Küche, um ein großes Tranchiermesser zu holen, und als sie zurück in die Stube trat, hatte Mettel sich bereits an den Tisch gesetzt und Löffel und Messer vom Gürtel gebunden. Unfassbar, zu welcher Eile ihre alte Mutter fähig war, wenn es ums Schmausen ging.
    Grete bedachte die Gans mit einem liebevollen Blick, bevor sie das Tranchiermesser in das weiche Fleisch stieß. Längs des Brustbeines schnitt sie das ansehnliche Tier entzwei, und eine würzige Füllung aus Äpfeln, Rosinen und den Innereien der Gans quoll hervor. Großzügig häufte Grete sich den Teller voll.
    Mettel leckte sich die Lippen und konnte kaum erwarten, dass Grete auch ihr eine Keule auf den Teller legte. Widerstrebend häufte die Tochter ihr auch von der Füllung dazu.
    Gierig machten sich die beiden Frauen über den Braten her, kaum dass sie die Bissen kauten, und für eine Weile erfüllte wohliges Schmatzen die Stube. Fett rann Grete von den Lippen über das Kinn herab und glitzerte im dämmrigen Licht der Öllampe.
    Grete schaufelte sich einen großen Löffel der Füllung in den Mund. Es knirschte, als sie darauf biss, doch die Füllung war gar köstlich gewürzt. Hastig schlang Grete einen zweiten Löffel voll hinunter. »Dieser Lump von einem Bauern hat die Gans vor dem Verkauf mit Sand gefüttert, damit sie mehr Gewicht auf die Waage bringt«, mäkelte sie mit

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