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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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vollem Mund. »Und die schusselige Küchenmagd der Berchem war zu faul, den Gänsemagen richtig auszuwaschen.«
    Mettel war zu sehr mit dem Essen beschäftigt, als dass sie hätte antworten wollen, und nickte nur beifällig.
    »Sei es drum«, sagte Grete schmatzend. »Die Füllung schmeckt auch mit ein wenig Sand.« Gefräßig schaufelte sie noch einen Löffel hinterdrein. Die Füllung kratzte ein wenig in ihrem Hals, doch nicht so arg, als dass es ihr den Genuss verdorben hätte.
    Beim fünften Löffel verspürte Grete beim Schlucken ein heftiges Reißen im Hals, und sie griff sich erschreckt an die Kehle. Schmerzhaft zog sich das Reißen den Hals hinab bis hinter das Brustbein, wurde dort zu einem schrecklichen Brennen. Hastig griff sie nach dem Becher mit verdünntem Bier und leerte ihn auf einen Zug. Doch das Brennen ließ nicht nach. Im Gegenteil. Immer stärker wurde es, und Grete war es, als schnitten tausend Messer in ihre Kehle.
    Tränen traten ihr in die Augen, und hilfesuchend blickte sie ihre Mutter an. Doch die vermochte ihr nicht zu helfen. Mettel war selbst leichenblass im Gesicht, hatte beide Hände um ihre Kehle gelegt und stieß ein heiseres Gurgeln hervor.
    Gretes Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Was, zum Teufel, ist in der Füllung?«, krächzte sie. Doch ihre Mutter antwortete nicht. Stattdessen erbrach sie mit einem widerlichen Würgen ihre letzten Bissen auf ihren Teller.
    Kalter Schweiß trat Grete auf die Stirn und klebte ihr die dünnen Haare wie Kraut an den Kopf. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr auf, und ihr Gesicht verlor die Farbe. Eine Hand an die Kehle gepresst, stocherte sie hastig mit dem Löffel in dem Rest Füllung auf ihrem Teller. Es knirschte, und dann sah sie darin etwas aufblitzen.
    Das war kein Sand, stellte Grete fest, und sie begriff: Eine Frau van Berchem hinterging man nicht! Brigitta war klüger als sie, gerissener und skrupelloser. In ihr hatte Grete ihre Meisterin gefunden.
    Voller Grauen warf sie den Löffel beiseite, als wäre sein Griff rotglühend und verbrenne ihr die Hand. Sollte das ihr Ende sein? Eine abgrundtiefe, lähmende Angst ergriff sie. »Mutter, hilf mir!«, greinte sie, doch diesmal konnte Mettel ihrer Tochter nicht beistehen. Helles Blut tropfte aus dem Mund der alten Frau. Ihre Finger öffneten und schlossen sich wie im Krampf, griffen ins Leere, und mit grotesker Langsamkeit kippte Mettel vornüber.
    Grete schrie auf, doch in dem Moment ergriff auch sie ein heftiges Würgen. Schmerzhaft bahnten sich das Fleisch der Gans und die pikante Füllung ihren Weg zurück nach oben, Gretes zerschnittene Speiseröhre hinauf, und ergossen sich über ihr Mieder.
    Ein Schwall hellroten Blutes folgte dem Erbrochenen, und Gretes Kehle brannte, als hätte man darin ein Feuer entzündet. Grüne Punkte tanzten vor ihren Augen, und in Rinnsalen lief ihr der Schweiß über das Gesicht. »Sei verflucht, Brigitta van Berchem!«, gurgelte sie schwach, dann spürte sie, wie ihr die Sinne schwanden. Ohnmächtig sank sie auf ihrem Stuhl zusammen.
     
    Früh am Morgen des nächsten Tages machte Lisbeth sich auf den Weg nach Unter Seidmacher, um Grete zur Rede zu stellen. In der schmalen Gasse, in der viele der Seidenweber ihre Häuser hatten, herrschte geschäftiger Betrieb, und das Klappern der Webstühle in den Werkstätten hinter den Häusern drang bis zu Lisbeth auf die Gasse heraus. Nur vor dem Fenster von Mettels Haus war der Klappladen noch geschlossen.
    Energisch klopfte Lisbeth an die Tür, doch niemand öffnete, auch auf ihr zweites und drittes Klopfen hin nicht. Es schien, als sei keiner zu Hause, was Lisbeth verwunderte. Zumindest die alte Mettel oder ein Lehrmädchen müssten doch da sein, wenn Grete aus dem Haus gegangen war, dachte sie und drückte die Klinke hinab.
    Die Tür war unverschlossen, und Lisbeth trat über die Schwelle. »Ist da jemand«, rief sie laut, um sich bemerkbar zu machen, doch im Haus blieb alles still. Lisbeth trat zwei Schritt weiter in den Flur hinein. Die Tür zur Stube war nur angelehnt, und Lisbeth schob sie auf. Ein unangenehmer Geruch schlug ihr entgegen, und im Dämmerlicht des Raumes sah sie Mettel und Grete am Tisch sitzen.
    »Guten Morgen«, grüßte sie kühl. »Ich habe mit Euch zu sprechen!«
    Sie erhielt keine Antwort. Grete und Mettel hatten sie nicht gehört.
    »Guten Morgen«, wiederholte Lisbeth und trat in die Stube. Der Gestank wurde stärker. Säuerlich roch es und ein wenig nach Gebratenem. Angewidert

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