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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Beweis dafür, dass es nun endlich Frühling wurde.
    Mit großem Appetit machten sich die Gäste über die Fische her, doch als der Hausherr daran ging, von dem Maitrunk in den Wibbel, einen großen grünen Glashumpen, zu schenken, wurde es ruhig im Saal. Bedächtig setzte Mertyn den Deckel auf den Humpen. Am Knauf des Deckels war ein elastischer Draht befestigt, an dessen Ende ein silbernes Vögelchen angebracht war, das nun lebhaft hin und her wibbelte.
    Mit unschuldiger Miene reichte Mertyn Herman den Wibbel, wobei er im letzten Moment wie zufällig dem Vögelchen einen Stups versetzte, der dieses in wildes Zucken versetzte.
    Herman lachte gutmütig, nahm den Deckel vom Wibbel und legte ihn vor sich auf dem Tisch ab. Der Vogel wibbelte an seinem Draht hin und her. Dann fasste Herman den Humpen mit beiden Händen, legte Daumen und Mittelfinger in die hierfür vorgesehenen Vertiefungen im Glas, setzte den Humpen gemächlich an die Lippen und begann zu trinken. Denn es galt: Wer an der Reihe war, der musste trinken, solange der Vogel wibbelte.
    Unter aufmunternden Zurufen leerte Herman den Wibbel weit über die Hälfte, bis das Vögelchen schließlich zur Ruhe kam.
    Lisbeth beobachtete, wie Herman den Deckel wieder auf den Krug setzte und ihn an Clairgin weiterreichte, die Lisbeth nicht ohne Hintergedanken neben ihn gesetzt hatte.
    Clairgin sah heute besonders hübsch aus, dachte Lisbeth. Ihr enganliegendes Kleid mit den weiten Ärmeln und der hochangesetzten Taille, das in einer kurzen Schleppe auslief, brachte die zierliche Gestalt der Freundin zur Geltung, und der hellblaue Atlas unterstrich die Farbe ihrer Augen aufs Vortreffliche. Sie gäbe bei Gott eine Gemahlin ab, derer sich ein Lützenkirchen nicht zu schämen brauchte.
    Herman bemühte sich, den Vogel nicht heftiger in Zuckungen zu versetzen als nötig – eine recht brüderliche Geste. Herman kannte Clairgin aus der Zeit, als diese bei ihnen in der Wolkenburg lebte, wie Fygens andere Lehrtöchter auch.
    Clairgin dankte. Mit ruhiger Hand legte sie den Deckel vor sich ab und nahm einen Schluck von dem gewürzten Maiwein. Rasch kam der Vogel zur Ruhe, und Clairgin reichte den Krug weiter.
    Clairgin wäre wirklich eine gute Frau für Herman, dachte Lisbeth. Ihr ruhiges, bedachtes Wesen könnte sicher ausgleichend auf Hermans Sprunghaftigkeit wirken. Während sie noch überlegte, wie sie es anstellen sollte, die beiden einander näherzubringen, und der Wibbel die Tafel hinaufwanderte, hatten Mertyn, Herman und ihr Schwager Hans Her sich ihrer liebsten Beschäftigung zugewandt: sich des Langen und Breiten über ihre Geschäfte auszutauschen.
    »Die Seidenmanufakturen in Venedig, Genua und Florenz werden immer stärker«, drangen Hermans warnende Worte an Lisbeths Ohr, und sie horchte auf. »Und in Neapel, Mailand und Turin sind neue entstanden.«
    »Das mag wohl stimmen«, erwiderte Hans Her. »Doch die italienischen Erzeugnisse stehen nicht mit den kölnischen im Wettbewerb, denn sie finden kaum den Weg auf die Märkte nach Frankfurt oder Antwerpen, dorthin, wo wir den größten Teil unserer Ware absetzen.«
    »Auch spanische Seidwaren stehen in gutem Ruf«, ergänzte Stephan. »Vornehmlich die aus Toledo und Sevilla. Doch weder in Antwerpen noch in Frankfurt sind sie mir bisher untergekommen.«
    Lisbeth hatte sich in Frankfurt genau umgeschaut, vor allem an den Ständen der Seidmacher aus anderen Städten. »Aus Ulm, Augsburg und Nürnberg haben wir nichts zu befürchten«, sagte sie nicht ohne Stolz. »Vor denen haben wir Kölnischen einen deutlichen Vorsprung, was die Qualität angeht.«
    Die Herren und auch Clairgin nickten zustimmend.
    »Paris ist nicht zu unterschätzen«, warf Andreas Imhoff wichtig ein, doch Hans winkte ab. »Mit den Franzosen teilt man sich seit langem schon die Käufer. Nein. In den Niederlanden lauert die Konkurrenz. In Gent, Brügge und Antwerpen fertigt man besonders kostbare Erzeugnisse wie Sammet, Atlas und Brokat. Und das zu erschreckend günstigen Preisen.«
    Die Herren nickten abermals.
    »In Frankfurt hat gerade ein flämischer Händler Clairgins Ware gelobt«, warf Lisbeth ein, vornehmlich, um Hermans Aufmerksamkeit auf die Freundin zu lenken.
    Das Lob rötete Clairgins Teint, und verlegen schlang sie ihre Finger ineinander.
    Herman nickte Clairgin anerkennend zu, doch er ging nicht weiter darauf ein.
    »Gleichwohl. Ihr müsst künftig darauf achten, nur erstklassige Ware herzustellen. Und achtet auch auf die Kosten, damit

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