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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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sich her, und es war nicht zu übersehen, dass Apolonia in gesegneten Umständen war.
    Lisbeth gab es einen neidvollen Stich. Reichte ihr Kummer denn nicht aus? Musste man denn auch noch das Messer in der Wunde herumdrehen, dachte sie bitter. Warum bekam Apolonia ein Kind und nicht sie? Warum?
    Nicht, dass Lisbeth es der Seidspinnerin nicht gegönnt hätte. Von ihr aus konnte Apolonia ein ganzes Dutzend Kinder haben, aber sie wollte auch eines.
    Krampfhaft presste Lisbeth die Lippen zusammen, bemüht, nicht auf Apolonias Bauch zu schauen, und schroffer, als beabsichtigt, sagte sie: »Ich kann dir künftig nur noch zehn Albus pro Pfund zahlen.«
    Bestürzt starrte Apolonia sie an. »Aber Ihr gebt mir meist Talayer Seide, die feinste überhaupt. Die Lohntaxe hierfür ist vierzehn Albus«, brachte sie hervor.
    »Die Beginen nehmen acht«, erwiderte Lisbeth.
    »Aber es ist untersagt, den Beginen Seide zu bringen«, sagte Apolonia leise.
    Das stimmte. Laut Zunftbrief war es nach wie vor verboten, den geistlichen Frauen Seide zum Spinnen zu überlassen, doch anders als zu Zeiten von Lisbeths Mutter, als dieses Vergehen als Strafe den Ausschluss aus der Zunft nach sich gezogen hatte, scherte sich heute niemand mehr darum. Alle machten es. Das wusste Apolonia so gut wie Lisbeth.
    Die Beginen – zumindest die vom Annenkonvent – arbeiteten gut. Sie waren zwar nicht so schnell wie die zünftigen Seidspinnerinnen, vermutlich weil sie einen nicht geringen Teil ihrer Zeit im Gebet zubrachten, dachte Lisbeth. Doch da der Lohn pro Pfund entrichtet wurde, konnte ihr das gleich sein.
    Das einzige Problem war, dass die zwölf Frauen im Annenkonvent nicht annähernd die Möglichkeiten hatten, all die Seide zu verarbeiten, die Lisbeth kaufte. Doch das brauchte Apolonia Loubach nicht zu wissen.
    »Zwölf?«, fragte Apolonia zaghaft und presste die Lippen abwartend aufeinander.
    Lisbeth zögerte einen Moment. Hatte sie Apolonia eben noch beneidet, so verspürte sie jetzt Mitleid mit der jungen Frau. Die Seidspinnerinnen waren beileibe nicht so wohlhabend wie die Seidenweberinnen. Die Rohseide, die sie bearbeiteten, war nicht ihr Eigentum, und trotz aller Fertigkeit blieben sie stets Lohnarbeiter für die Seidmacherinnen und brachten es selbst nie zu richtigem Wohlstand. Und anders als sie, die einen wohlhabenden Kaufmann zum Manne hatte, war Apolonia auf den Ertrag ihrer Hände Arbeit angewiesen, das wusste Lisbeth wohl. Und bald hätte sie ein weiteres Menschlein zu füttern …
    Doch Lisbeth wusste auch, dass manch andere Seidmacherinnen noch härter mit ihren Spinnerinnen umsprangen, sie mit Stoffen entlohnten anstatt mit Geld, für welche die Frauen, wenn sie sie verkauften, weniger erhielten als den vereinbarten Lohn. Für einen Moment getraute Lisbeth sich, ihren Blick auf Apolonias Bauch ruhen zu lassen. »Also gut«, entschied sie schließlich. »Um unserer langen Zusammenarbeit willen: zwölf.«

5 .  Kapitel
    E s war immer noch warm, als Fygen sich in Eckerts Begleitung nach der Siesta auf den Weg in die Bodega machte, aber die Sonne hatte ihre stechende Kraft verloren und warf lange Schatten auf die Plaza Mercado. Die Händler hatten ihre Marktstände abgebaut, doch das Treiben in den Gassen war nicht weniger geworden.
    Fasziniert blickte Fygen in geschminkte Gesichter, etwas, das man zu Hause nicht oft sah, und sog den Duft schwerer Parfums ein. Das lebhafte Gewirr von fremdländischen Sprachen drang ihr in die Ohren, und am liebsten hätte sie sich auf einem Treppenabsatz niedergelassen und dem Treiben zugeschaut, so aufregend anders waren diese Stadt und ihre Bewohner.
    Nach de la Vegas Beschreibung sollte es nicht allzu schwierig sein, die Bodega der Gesellschaft zu finden. In der Nähe der Llotja verließen Fygen und Eckert den Markt durch die Puerta de Tudela, einen Durchbruch in der Mauer, und bogen zielstrebig in die Puerta nueva ein.
    Die Gasse war gesäumt von Geschäften, die Lebensmittel feilboten. Ihre farbig gestrichenen Türen standen offen, und der Duft nach fremden Gewürzen drang heraus und durchzog die Straße. Offene Säcke mit Reis, Kisten mit Orangen, Körbe mit blassgrünen Kohlköpfen, Rüben und Gemüse, deren Namen Fygen nicht zu nennen wusste, standen in heillosem Durcheinander bis auf die Gasse hinaus. Es gab Früchte, die waren in Größe und Farbe Hühnereiern nicht unähnlich, andere lockten prall-rot mit glänzender Schale und waren nur murmelgroß, wieder andere dunkelgrün oder hellgelb

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