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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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und gebogen. Fygen hatte sie nie zuvor gesehen. Doch sie hatte davon reden hören, dass man in der Neuen Welt fremdartige Gemüsesorten gefunden hatte, die es hier nicht gab. Und dass die Seeleute Pflanzen mitgebracht hätten, damit die Bauern sie hier anbauten. Vielleicht stammten diese Früchte ja von dort?
    In den Geschäften drängten sich die Käufer unter Bündeln von zu Strängen geflochtenen Zwiebeln und Knoblauch, die von der Decke baumelten.
    Gewissenhaft zählte Fygen die Türen ab. Die fünfte Tür nach der Puerta de Tudela sollte es sein. Grün gestrichen. Dort! Da musste es sein. Valencia war die einzige Stadt, in der die Ravensburger Handelsgesellschaft neben dem Gelieger, in dem die großen Geschäfte abgeschlossen wurden, auch noch einen Kleinverkauf unterhielt – eben die Bodega.
    Sie lag wirklich in allerbester Geschäftslage, dachte Fygen und trat ein. Überrascht von der Größe des Raumes, blieb sie an der Tür stehen und blickte sich um. Anders als in den Läden, an denen sie soeben vorbeigekommen war, herrschte in der Bodega der Oberdeutschen eine peinliche Ordnung.
    Ringsum erklommen Regale aus dunkel poliertem Holz die Wände des Raumes bis hinauf zur hohen Decke. Davor standen schwere Verkaufstische, gefertigt aus demselben Holz wie die Wandregale. Glänzende Töpfe, Tiegel, Kannen und Pfannen, die den weiten Weg aus Nürnberg oder Flandern hinter sich hatten, hingen ordentlich an Haken aufgereiht und warteten auf Käufer. Kisten und Körbe waren in Reihen ausgerichtet wie mit der Schnur gezogen, die Ballen mit Ulmer und Augsburger Leinwand sorgfältig gestapelt.
    Es befanden sich einige Kunden in der Bodega, doch Fygen hatte kaum einen Schritt in den Raum hineingemacht, als sich bereits aufmerksame Vogelaugen auf sie richteten. Sie gehörten einem dunkelhäutigen, kleinwüchsigen Mann mit pechfarbenem Haar und auffallend großen Ohren, der hinter einem der wuchtigen Verkaufstische stand. Aus der Bestimmtheit, mit der er nun einen Gehilfen zu sich winkte, um diesem seinen Kunden zu überlassen, schloss Fygen, dass es der Obmann der Bodega, wenn nicht gar Herr Alexander selbst war.
    Mit einem freundlichen Lächeln, den Kopf höflich geneigt, trat der Mann auf Fygen zu. »¡Bona nit senyora! ¿Com podría servir-vos?«
    Fygen verstand die Worte nicht, doch es war offensichtlich, dass der Obmann nach ihrem Begehr gefragt hatte.
    »Senyor Alexander?«, fragte sie.
    »¿Jo? ¡No!« Der Obmann winkte ab. »¡Un moment si us plau!« Diensteifrig eilte er quer durch den Raum davon. Fygen sah, wie er zu einer Gruppe von drei wohlhabend wirkenden Herren trat, zwei kleineren, untersetzten – der Ähnlichkeit ihrer rötlichen Gesichter nach mochte es sich um Brüder handeln – und einem hochgewachsenen Mann, der ihr den Rücken zuwandte. Die Herren schienen in ein lebhaftes Gespräch vertieft, das der Obmann nun mit einer Verneigung unterbrach.
    Er flüsterte dem Großgewachsenen etwas zu, woraufhin dieser den Kopf wandte und ihr zunickte. Senyor de la Vega!
    Fygen blinzelte überrascht. War das ein Zufall, fragte sie sich, oder war der Spanier ihretwegen hier? Doch es musste ein Zufall sein. Er hatte ja gesagt, er sei mit Herrn Alexander bekannt. Fygen wusste nicht, ob sie sich darüber freute, ihn hier anzutreffen, oder nicht. Gebrauchen konnte sie ihn bei ihrer Unterredung mit Herrn Alexander sicher nicht.
    Reserviert erwiderte sie daher seinen Gruß, doch er verabschiedete sich von seinen Gesprächspartnern und kam auf sie zu. Ein strahlendes Lächeln breitete sich über seine Züge. »Senyora van Bellinghoven! Wie schön, Euch wiederzusehen.«
    »Senyor de la Vega, welch ein Zufall, Euch hier anzutreffen«, entgegnete sie so distanziert wie möglich, und es gelang ihr zum ersten Mal, seinen Namen korrekt auszusprechen.
    »Nun, einen Zufall würde ich es nicht nennen. Eher eine kleine List. Es erschien mir der einfachste Weg, Euch wiederzusehen.« De la Vega schmunzelte jungenhaft, ganz so, als sei ihm ein besonderer Streich gelungen. »Mein vollständiger Name lautet Alejandro Martinez de la Vega. Oder, weil es für unsere deutschsprachigen Handelspartner einfacher ist: Herr Alexander. Entschuldigt die kleine Maskerade.«
    Fygen sog scharf die Luft ein. Der Faktor der Ravensburger Handelsgesellschaft in Valencia, jener Herr Alexander, war niemand anders als ihre zufällige Reisebekanntschaft Senyor de la Vega!
    Vor Verblüffung blieb Fygen der Mund offen stehen. Was für ein unverschämter,

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