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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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studierter Mann wusste eben nicht alles, dachte sie enttäuscht. Doch vielleicht war das genau der Fehler? Was verstanden Männer vom Kinderkriegen? Diese Überlegung war es, die Lisbeth heute nach Sankt Kolumba geführt hatte.
    Das Viertel war heruntergekommen. Zweistöckige Häuser standen hier, von denen gerade einmal die Fundamente steinern waren, das Übrige war aus Holz gefügt. Putz und Farben der Fassaden waren verwittert, blätterten und bröckelten. Der Unrat lag in Haufen auf der Gasse, Schweine und Hunde scharrten darin herum. Es war eine arme Wohngegend, die sich deutlich von Sankt Alban unterschied.
    Lisbeth passierte das Klarissenkloster, dann fiel ihr Augenmerk auf einen soliden, doch unscheinbaren Bau mit vergitterten Fensteröffnungen im Eingang zur Schwalbengasse. Auf dem Schieferdach prangten unübersehbar die drei Kronen – das Wappen der Stadt. Das musste das Frauenhaus sein, mutmaßte sie ein wenig enttäuscht. Im Geheimen hatte sie sich das Haus, in dem die käuflichen Frauen lebten, immer viel pompöser vorgestellt, mit prächtigen Verzierungen und aufwendiger Malerei an der Fassade.
    Eine große Mauer umgab das Haus mit dem daran angeschlossenen Friedhof und schützte es vor fremden Blicken, obschon es wohl eher ihr eigentlicher Zweck sein mochte, die benachbarten Klarissinnen vor dem Anblick des Hauses zu bewahren.
    An der Mauer vor dem Haus lehnten einige Frauen in mittleren Jahren und schwatzten. Acht an der Zahl mochten es sein. Ihre Kleidung war gewöhnlich in ihrer Farbigkeit, und ausnahmslos trugen sie den roten Schleier, den die Stadtväter den gemeinen Töchtern zu tragen verordnet hatten. Ein praktischer Brauch, denn er schützte nicht nur die ehrbaren Bürgerinnen vor zweifelhaften Angeboten, sondern erleichterte auch den Freiern die Suche nach den wohlfeilen Damen.
    Zwei von ihnen hatten ein paar junge Handwerksburschen angesprochen und versuchten nun, sie zu einem Besuch im Haus zu überreden. Lautstark priesen sie ihre Vorzüge und wollten Art und Preis des Geschäftes aushandeln. Die anderen Frauen musterten Lisbeth unverhohlen.
    Es war nicht das erste Mal, dass Lisbeth Hübschlerinnen sah. Auf dem Domhof, dem Heu- und dem Neumarkt, an jenen Orten, an denen man üblicherweise auf Händler und Pilger traf, war sie bereits Frauen mit roten Kopftüchern begegnet, jungen wie alten. Doch nur von ferne und vereinzelt. Hier in ihrem Viertel flößten sie Lisbeth Furcht ein. Schamvoll wandte sie den Kopf ab und wollte rasch an den Frauen vorbeieilen, als eine von ihnen ihr zurief: »Na, Schätzchen, willst du dir ein bisschen was dazuverdienen, oder hat dein Mann einen toten Wurm im Latz?«
    Die anderen Frauen kicherten laut.
    Lisbeths erster Impuls war, ihren Schritt zu beschleunigen und das Weite zu suchen. Doch dann rief sie sich zur Ordnung. Das hier waren einfach nur Frauen. Frauen, die nicht so viel Glück im Leben gehabt hatten wie sie. Sie brauchte keine Angst vor ihnen zu haben.
    »Könnt Ihr mir sagen, wo ich die alte Bela finde?«, fragte sie und versuchte ihr Unbehagen hinter Freundlichkeit zu verbergen.
    »Ah so! Ihr wollt nur zu der Alten«, sagte die Frau, die sie angesprochen hatte, ein wenig enttäuscht. »Da entlang, gleich das dritte Haus ist es.« Gelangweilt wies sie weiter in die Gasse hinein.
    Die Berlichhuren verloren das Interesse an Lisbeth und wandten sich wieder ihrem Plausch zu.
    Das Haus, in dem die alte Bela wohnte, war genauso heruntergekommen wie das restliche Viertel. Doch konnte man daran kaum Anstoß nehmen. Als Hebamme wurde man nicht reich, es sei denn, man half dem lang ersehnten Stammhalter eines Adelsgeschlechts ans Licht der Welt. Aber der Hochadel war in der freien Reichsstadt dünn gesät, und so sah sich die alte Bela auch im greisen Alter noch gezwungen, sich ihren Unterhalt mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen.
    Allerdings hatte sie sich, seit ihr die Kräfte schwanden und ihr Augenlicht sie zu verlassen begann, darauf verlegt, mit allerlei Kräutern zu handeln und ihr Wissen um die Krankheiten und Gebrechen der Frauen feilzubieten.
    Und so fand Lisbeth sie in dem von der Hübschlerin bezeichneten Haus in ihrem Laden hocken, inmitten von Körben, Kisten und Harassen voller Blätter und Rinden. Büschelweise hingen getrocknete Kräuter und Gräser von der niedrigen Decke.
    So muss es in einem Fuchsbau aussehen, dachte Lisbeth, und mit ihrer spitz vorspringenden Mundpartie sah auch die Bewohnerin dem scheuen Streuner nicht

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