Die Tochter der Seidenweberin
darauf zurückzukehren, in der Hand ein zerdrücktes Päckchen, das sie Lisbeth reichte. Mit Nachdruck schloss sie deren Hände darum. »Ist Knochen in Herz von Tier in Wald. Große Tier mit so …« Die Frau hob beide Arme an den Kopf, um ein Geweih zu imitieren.
»Hirsch«, sagte Lisbeth, und die Zigeunerin nickte.
»Hirsch! Geht heraus ohne Messer. Nimmst du, bevor du machst Liebe mit deine Mann!«
Mit einem leisen Schnauben legte Lisbeth das zerdrückte Päckchen am Abend neben die Truhe in ihrer Schlafkammer. »… bevor du machst Liebe mit deine Mann …«, wiederholte sie die Worte der Zigeunerin. Woher sollte sie denn im Voraus wissen, wann Mertyn Lust darauf verspürte, den Leib seiner Gemahlin mit seiner Aufmerksamkeit zu beehren, anstatt sich wie meist müde auf der Bettstatt auf die Seite zu rollen?
Vorsichtig wickelte Lisbeth den schmutzigen Lumpen von dem Päckchen, und ein kleines Häufchen blassen Pulvers kam zum Vorschein. Sie betrachtete es und fragte sich, ob sie dieses Zaubermittel wirklich ausprobieren sollte. Doch dann streute sie es entschlossen in einen Becher, füllte diesen mit verdünntem Wein aus dem Krug auf, und bevor sie es sich anders überlegen konnte, leerte sie den Becher, ohne ihn ein Mal abzusetzen.
Mit einem kleinen grimmigen Lächeln stellte sie den Becher beiseite und hob den Deckel von der Truhe, in der sie ihre Leibwäsche aufbewahrte. Sie nahm ein neues Nachtgewand heraus und breitete es auf der Bettstatt aus. Das zarte leinene Hemd war an Saum und Ärmeln mit flandrischer Spitze besetzt, und ein seidenes Band hielt den Ausschnitt zusammen. Sorgfältig löste Lisbeth das Band und erweiterte den Ausschnitt großzügig, bevor sie es wieder mit einer Schleife band. Dann stieg sie aus ihren Kleidern und streifte sich das Nachthemd über den Kopf. Zuletzt tupfte sie sich ein wenig Duftwasser auf das Dekolleté und schlüpfte zwischen die Laken. Nun sollte es nicht mehr allzu lange dauern, bis Mertyn nach Hause kam …
Es war eine sehr gemischte Gesellschaft, die sich im Hinterzimmer des Goldenen Krützchens traf. Nach Einbruch der Dunkelheit kamen die Männer, einzeln, mal zu zweien. Sie traten durch die Seitentür, schlichen durch Rudolfs Küche und gelangten, von den gewöhnlichen Zechenden in der Schankstube ungesehen, ins hintere Zimmer.
Rudolf kannte die meisten von ihnen. Es waren Handwerksgesellen, Steinmetze, Harnischmacher, Goldschmiede, Topfschläger, Bäcker und Weber. Und ein paar junge Hitzköpfe aus wohlhabenden Häusern. Darunter zu Rudolfs Erstaunen auch Mertyn Ime Hofe.
Rudolf wusste nicht genau, worüber die Männer sprachen. Dass man über Politik redete und sich damit gegen den Rat wandte, der solche heimlichen Zusammenkünfte streng verbot, war ihm klar, doch mehr wollte Rudolf gar nicht wissen. Halt disch erus, dann küsste nit erin – halt dich raus, dann gerätst du nicht in Schwierigkeiten, war das Motto, mit dem er als Wirt stets gut gefahren war.
Rudolf bediente die Gäste im Hinterzimmer selbst. Darauf legten die Herren großen Wert, mochten Rudolfs Schankmädchen auch noch so hübsch sein. So auch jetzt, als er mit einem Tablett voll gefüllter Weinkrüge in das hintere Zimmer trat.
»Die Kassen sind leer wie der Magen eines Hundes«, klagte einer der Steinmetze, ein hagerer Mann mit scharfkantigem Gesicht, das aussah, als sei es mit einem Messer geschnitzt worden. Rudolf kannte ihn, er arbeitete an der Dombauhütte. »Wir zahlen uns dusselig an Steuern, und was machen der von Rheidt und all die gnädigen Herren vom Rat? Allen voran unser feiner Bürgermeister Johann van Berchem?« Beifallheischend blickte er in die Runde. Dann griff er nach dem Krug und nahm einen Schluck Wein, bevor er selbst die Antwort gab: »Ich sag’s euch. Die Taschen machen die sich voll! So ist das!« Er nickte bekräftigend, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, und stellte den Krug mit einem deftigen Krachen auf dem Tisch vor sich ab.
»Der Berchem soll sogar seinen eigenen Diener aus der Stadtkasse bezahlen, heißt es«, fügte ein junger Bursche hinzu, der kecken Mütze nach zu urteilen, die er auf den langen Locken trug, ein Student der Universität. »Und die Weinherren schaffen den Ratswein in die eigenen Keller.«
»Sie verschachern die einträglichsten Pöstchen untereinander«, klagte ein spitzgesichtiger Topfschläger an, gerade so laut, dass die Umsitzenden ihn verstanden, aber so leise, dass er leicht behaupten konnte, er hätte
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