Die Tochter der Seidenweberin
ihre Festtagslaune nicht schmälern.
Schwankend, das Gesicht zur Maske erstarrt und den Blick auf die geschundene Gestalt seines Gefährten vor sich geheftet, folgte auch Herman dem Karren. Lisbeth hätte viel darum gegeben, sich den entsetzlichen Anblick der Hinrichtung zu ersparen. Doch Herman war in einer Verfassung, in der sie ihn unmöglich würde alleinlassen können. Und so blieb ihr nichts übrig, als an seiner Seite zu gehen, als der schaurige Zug in quälender Langsamkeit seinen Weg nahm, die Breite Straße entlang, die Ehrenstraße und durch das Ehrentor aus der Stadt hinaus.
Mehr und mehr Menschen schlossen sich dem Zug an, um sich das grausige Schauspiel nicht entgehen zu lassen, und als man Melaten schließlich erreichte, war am Rabenstein alles gerichtet.
Im Schritttempo rollte der Armsünderkarren durch die Pfützen auf den freien Platz, der im Regen bereits aufzuweichen begann. Als das Gefährt zum Halten kam, drängte sich die hemmungslose Menschenmenge so dicht heran, dass die Büttel es kaum vermochten, Alberto vom Karren zu holen. Mit erhobenen Stöcken drängten sie die Gaffer rigoros zurück, bis sie in gebührender Entfernung um den einzelnen Pfahl in der Mitte des Platzes zu stehen kamen.
Um den Pfahl herum hatte man wenig dürres Stroh auf den Lehmboden geschüttet – der Greve, der dafür aufzukommen hatte, war ein geiziger Mann. Anders dagegen der Scharfrichter. Die ihm unterstehenden Huren der Stadt, vor allem diejenigen vom Domhof und Heumarkt, von denen er den dritten Teil ihrer Einnahmen erhielt, hatten in letzter Zeit fleißig gearbeitet, was ihm gute Gewinne eingetragen hatte. Und so hatte der Henker sich nicht lumpen lassen und für einen ansehnlichen Stapel Feuerholz gesorgt. Kurz rüttelte er noch einmal an dem Pfosten, um sicherzugehen, dass dieser sich nicht aus dem Boden heben ließ, dann, auf sein Zeichen hin, stießen die Büttel den Verurteilten vom Karren.
Alberto fand auf seinen geschundenen Füßen keinen Halt und stürzte vornüber in den Dreck, was die Zuschauer mit höhnischem Gelächter quittierten.
Grob rissen die Büttel ihn an den Armen, um ihn aufzurichten. Alberto entfuhr ein Schrei, als das Gelenk seiner Schulter nachgab. Doch ohne sich davon beirren zu lassen, schleppten die Stadtdiener ihn auf das gestapelte Feuerholz, so dass er mit dem Rücken an dem Pfahl zu stehen kam. Unsanft bogen sie ihm die Arme nach hinten, was Alberto abermals einen Schmerzenslaut entlockte.
Lisbeth schlug ob dieser unnötigen Grausamkeit die Hände vors Gesicht.
Eigenhändig band der Scharfrichter Albertos Arme mit einem guten Strick zusammen. Er wollte sichergehen, dass der Verurteilte sie nicht würde lösen können. Noch einmal rüttelte er an dem stabilen Pfosten. Das Gelingen der Hinrichtung lag zur Gänze in seiner Verantwortung. Wenn etwas schiefging und er den Verurteilten nicht zu Tode brachte, stand zu befürchten, dass sich der Zorn der Zuschauer gegen ihn selbst wandte. Es geschähe nicht zum ersten Mal, dass man einen Henker gemeinsam mit dem Todgeweihten erschlug.
Derweil war der Greve von seinem Ross gestiegen und trat nun zu den beiden Schöffen, die einige Schritt entfernt des Scheiterhaufens Aufstellung genommen hatten. Sogleich verstummte das Lärmen auf dem Platz, und die Zuschauer schoben sich näher heran, damit ihnen auch nicht eine winzige Kleinigkeit des grausigen Schauspiels entgehen möge. Nur mit Mühe gelang es den Bütteln, sie zurückzudrängen.
Dem Ritual folgend, wandte sich der Greve zunächst an den älteren der beiden Schöffen. »Ist nun Richtzeit?«, fragte er weithin vernehmlich.
»Ja!«, bestätigte der Schöffe.
»Ist nun Richtzeit?«, wiederholte der Greve seine Frage, an den zweiten Schöffen gewandt.
»Ja!«, bestätigte auch dieser.
Mit majestätischer Gebärde hob der Greve seinen Stab und gab dem Scharfrichter das Zeichen, seines grausigen Amtes zu walten.
Lisbeth schnürte sich die Kehle zusammen. Eine eisige Kälte erfüllte sie, und sie spürte, wie ihre Haut feucht wurde von kaltem Schweiß.
Der Henker nahm von seinem Gehilfen eine lodernde Fackel entgegen. Damit trat er zu dem Scheiterhaufen und entzündete die ersten Halme. Doch das feuchte Stroh widersetzte sich den Flammen, rauchte und erlosch mit einem Zischen. Wieder und wieder hielt der Scharfrichter die Fackel vergeblich an die Halme. Erst als er aus einem Eimer einige Kellen Pech darauf verteilte, fügte sich das Stroh schließlich in sein Schicksal und
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