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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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selbst ihr Opfer werden.
    Endlich gelang es Herman, das Messer aus Albertos Leib zu lösen. Abermals holte er aus, die Klinge diesmal auf sein eigenes Herz gerichtet.
    »Nein!« Lisbeths Schrei gellte über den Platz, übertönte das Geschrei der Menge. Doch er erreichte Herman nicht mehr. Entschlossen hatte seine Hand ihren letzten Streich geführt.
    Die Zuschauer hielten in ihrem Rasen inne. Eine entsetzte Stille breitete sich über den Richtplatz, nur unterbrochen vom Knistern und Fauchen des Feuers, das von den beiden leblosen Körpern Besitz ergriff.

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    Teil  III
    1505 bis 1509
    12 .  Kapitel
    B eklommen schritt Lisbeth durch die geschmückten Gassen. Die Stadt hatte sich in Festtagslaune herausgeputzt. An manchen Häusern hatte man Fahnen gehisst, das Wappen der Habsburger neben dem städtischen mit den drei goldenen Kronen, die Symbol waren für die Heiligen drei Könige, deren Gebeine man in einem Schrein im Dom bewahrte.
    Die festliche Stimmung an diesem Johannistag passte so gar nicht zu Lisbeths Gemütsverfassung. Es war ein schlimmer Winter gewesen, voller Regen und Kälte. Lisbeth war es vorgekommen, als wolle es nie wieder Frühling werden. Wochenlang hatte sie sich von früh bis spät in der Werkstatt zu schaffen gemacht, hatte unermüdlich gearbeitet, bis sie abends erschöpft auf ihre Bettstatt gesunken war.
    Doch alle Müdigkeit hatte die Trauer um Herman nicht zu lindern vermocht und sie nicht vor den quälenden Fragen geschützt, die sie sich des Nachts stellte, wenn sie schlaflos lag. Würde Herman jemals die Gnade Gottes erlangen? Oder musste er auf ewig die Qualen des Fegefeuers erdulden?
    Nicht nur, dass er sich der unsprechlichen Sünde schuldig gemacht hatte. Er hatte sich selbst ums Leben gebracht und zuvor einen anderen Menschen erstochen. Galt es vor dem Jüngsten Gericht mildernd, dass Herman diese Taten aus Liebe begangen hatte? Lisbeth hoffte es inständig. Jeden Morgen sprach sie ein Gebet für ihn und entzündete des Sonntags eine Kerze für sein Seelenheil.
    Selbstmörder durften nicht in geweihter Erde bestattet werden. Doch als die Flammen ihr Werk getan hatten, war ohnedies nicht viel geblieben, das zu beerdigen gewesen wäre. So war es ihrem Bruder wenigstens erspart geblieben, vor den Mauern der Stadt in einem namenlosen Grab verscharrt zu werden wie ein erschlagener Hund.
    Zögerlich schritt Lisbeth durch die Gasse Unter Wappensticker. Sie hatte es nicht eilig. Seit Hermans Tod ging sie nur sehr ungern in die Wolkenburg. Zu lastend harrten dort die Erinnerungen an jene schrecklichen Tage des Bangens nach Albertos Verhaftung, Hermans letzte Tage.
    Doch heute blieb Lisbeth keine Wahl, denn Fygen hatte sie gebeten, dort nach dem Rechten zu schauen. Es war Lisbeth unendlich schwergefallen, ihrer Mutter von den schrecklichen Geschehnissen zu berichten. Eine volle Woche und ungezählte Blatt Papier hatte sie dafür gebraucht. Doch schließlich hatte sie ein wenig Trost darin gefunden, dass Fygen den Tod ihres Ziehsohnes nicht hatte miterleben müssen.
    Den Tod nicht und auch nicht das schmachvolle Gerede. Des Langen und Breiten hatte man in der Stadt darüber geklatscht, wie weit es mit den Lützenkirchens gekommen sei. Vor Selbstgerechtigkeit triefend, hatten diejenigen, die darum wussten, dass Herman nicht der leibliche Sohn von Fygen und Peter, sondern ein angenommenes Kind war, die Finger gehoben und bemerkt, dass aus dem Bankert eines liederlichen Lehrmädchens nun einmal kein ehrbarer Bürger werden könne. Ein angesehener Ratsherr schon gar nicht.
    Der lange Winter war einem launischen Frühling gewichen, der nun eher widerwillig in den Sommer überging. Heute, auf den Tag genau, war es ein Jahr her, dass sie in der Wolkenburg Hermans Ernennung zum Ratsherrn gefeiert hatten.
    Bis auf die Tatsache, dass sich wieder einmal ein Mitglied des Rates etwas Schwerwiegendes hatte zuschulden kommen lassen – was natürlich Wasser auf die Mühlen der Unzufriedenen gewesen war –, hatte die Stadt den Skandal jedoch schnell vergessen. Denn ein ganz besonderes Ereignis stand ins Haus: König Maximilian hatte die Fürsten des Reiches, darunter die sieben Kurfürsten, die Reichsgrafen und Reichsprälaten sowie die Vertreter der freien Reichsstädte nach Köln zum Reichstag geladen. Das versprach Feierlichkeiten ungekannten Ausmaßes!
    Doch Lisbeth war beileibe nicht nach Feiern zumute. Sie fühlte sich einsam und verlassen von allen, die sie liebte. Erst der Unfall ihres Vaters,

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