Die Tochter der Seidenweberin
ging widerwillig in Flammen auf. Das Knistern war in dem gespannten Schweigen, das auf dem Platz lastete, deutlich zu hören.
Lisbeth grub die Fingernägel in die Handflächen. Ihr war schwindelig, und sie befürchtete, keinen weiteren Moment länger aufrecht stehen zu können.
Handbreit für Handbreit eroberten sich die blauen Flammen ihren Weg zu den Scheiten. Das Holz rauchte und kohlte zunächst, doch dann entflammte ein Scheit nach dem andern.
Vereinzelt ertönten Jubelrufe, doch die Menge hielt weiterhin gespannt den Atem an.
Voller Angst, welche Pein sie dort erblicken würde, schaute Lisbeth in das geschundene Gesicht von Alberto. Auch die Misshandlungen des Scharfrichters hatten seinen ebenmäßigen Zügen ihre Anziehungskraft nicht genommen. Das Gesicht unbewegt, den Kopf nach hinten geneigt, soweit die Fesseln es zuließen, richtete er seinen samtigen Blick auf die trostlos kahlen Kronen der Bäume, die über dem Platz aufragten.
Dieser Mann, der ihrem Bruder Halt und Zuflucht gegeben hatte, der ihm mehr bedeutete als jeder andere Mensch auf Erden, schien gefasst, beinahe ruhig seinem irdischen Ende entgegenzublicken.
Unwillkürlich wandte Lisbeth sich zu Herman um. Seinen Schmerz mochte sie sich nicht vorstellen. Aschfahl, den Blick unbeirrt auf das Antlitz seines Gefährten geheftet, schien er neben ihr erstarrt zu sein, das Gesicht zur Maske versteinert. Zwei feuchte Spuren zogen sich über seine eingefallenen Wangen.
Immer dichter fraßen sich die Flammen an Alberto heran, fauchten und bleckten. Beißender Rauch breitete sich über den Platz, stieg Lisbeth brennend in Nase und Augen. Als sie sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, bemerkte sie, dass es feucht war von Tränen.
Enger und enger umzingelten die Flammen Alberto und leckten gierig an seinen Füßen. Lisbeth schloss die Augen, außerstande, dem Grauen weiter zuzusehen. »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes …«, betete Lisbeth leise.
Es knallte. Funken stoben in den feuchten Morgenhimmel, und mit einem Fauchen schossen die Flammen zwischen allen Holzscheiten zugleich empor. Der Scheiterhaufen brannte!
Jubel brandete auf. Die Zuschauer pfiffen, rissen die Arme über die Köpfe und schrien ihre Genugtuung hinaus. Die reinigende Kraft des Feuers würde die Last der Sünde von der Stadt nehmen, mit der der fremde Sodomiter sie befleckt hatte. Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.
Plötzlich spürte Lisbeth eine heftige Bewegung neben sich, und sie öffnete die Augen. Erschreckt sah sie, wie Herman sich mit den Ellbogen rüde einen Weg zwischen den Zuschauern hindurchbahnte. Die Starre in seinem Gesicht war fester Entschlossenheit gewichen.
Rücksichtslos einen überraschten Büttel beiseitestoßend, stürmte Herman dem Scheiterhaufen zu. Im Laufen zog er sein Messer aus der Scheide, die an seinem Gürtel hing.
»Nein, Herman!«, schrie Lisbeth, doch ihre Worte verhallten ungehört.
Mit einem Satz sprang Herman auf den Scheiterhaufen. Eine Wolke aus gleißenden Funken stob auf, hüllte Herman und Alberto ein und nahm Lisbeth für einen Moment die Sicht.
Einen unendlichen Augenblick lang standen sich die beiden Männer gegenüber, der Blick des einen tief in den des anderen gesenkt, einem stummen Versprechen gleich. Schmerz und Qual lagen darin, aber auch eine Liebe, der selbst der Tod ihre Größe nicht nehmen konnte.
Die Flammen malten zitternd rote Schatten auf Hermans Wangen, als er seinen Gefährten fest in den Arm schloss. Mit der Rechten holte er aus, und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte die Klinge auf. Dann stieß Herman sie tief in den Rücken seines Geliebten.
Ein Aufschrei gellte durch die Menge. Albertos Kopf sank auf seine Brust, sein kraftloser Körper nur mehr von den Fesseln aufrecht gehalten.
Die Büttel hatten sich von ihrer Überraschung erholt. Hastig stürmten sie dem Scheiterhaufen zu, und das Volk, unbändig vor Erregung und nun seiner Bewacher ledig, drängte schreiend nach vorn.
Verzweifelt mühte Herman sich, das Messer aus dem Leib seines Geliebten zu winden. Die Flammen versengten ihm schmerzhaft Gesicht und Hände. Schon erreichte der erste Büttel den Scheiterhaufen. Doch die Flammen, die Herman mannshoch umloderten, hinderten den Wachmann daran, ihn zu ergreifen, wollte er nicht
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