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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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ihr aus, dann krachte ein gefüllter Becher zu Boden. Bier spritzte auf Lisbeths Rock.
    »Vermaledeiter Driss!«, brüllte der Braugeselle.
    »Komm, wir suchen uns ein ruhigeres Plätzchen«, sagte Stephan und fasste Lisbeth am Arm. In der Nähe der Fenster hatte er eine freie Bank entdeckt und wollte gerade darauf zusteuern, als vor dem Haus plötzlich lautes Hufgeklapper ertönte. Unter mancherlei Flüchen und Gelächter flüchtete sich eine Handvoll Gäste vor dem Regen in den Schankraum, und an der Tür entstand ein kleiner Tumult. Die Neuankömmlinge waren keine gewöhnlichen Gäste, das ließen ihre prachtvollen Gewänder sogleich erkennen. Vielmehr mochten sie zu den Fürsten gehören, die aufgrund des Reichstages in der Stadt weilten.
    Mit bübischem Lachen riss sich einer der Männer – er mochte bereits über vierzig Jahre zählen – sein tropfnasses Barett vom Kopf, dessen weißer Federschmuck vom Regen in ein trauriges Knäuel verwandelt worden war. Er schüttelte seine welligen Haare, die er nach der neuesten Mode auf Kinnlänge gestutzt trug, so heftig aus, dass die Tropfen flogen.
    Doch der plötzliche Regenguss schien den hohen Herrn nicht zu verärgern. Im Gegenteil. Vielmehr kam es den Umstehenden so vor, als betrachte er ihn als großen Spaß, eigens zu seiner Belustigung inszeniert.
    Als der illustre Gast weiter in den Raum hineintrat, verstummte schlagartig das Schwatzen und Lachen der Zechenden. Denn auch im dämmrigen Licht der Schankstube war seine auffallend große, hakenförmige Nase, die spitz auslief und deren Rücken zudem von einem Buckel gekrönt wurde, nicht zu übersehen. Genauso wenig wie die stark ausgeprägte Unterlippe des Mannes und sein vorspringendes Kinn. Das Kinn der Habsburger.
    »Nää, dat jlöv isch nit! Dä Künning! He bei uns! Dat darf doch nit wohr sin!«, fasste der Brauergeselle die Verblüffung aller in Worte.
    In der Tat war es kein Geringerer als König Maximilian selbst, der sich auf seinem Weg zum Bürgermeisterempfang am Neumarkt in das Zunfthaus der Brauer geflüchtet hatte.
    Eilfertig schaffte man Platz für die hohen Herren, richtete eine Tafel in der Mitte des Raumes und kredenzte voller Stolz die Erzeugnisse kölnischer Braukunst.
    Neugierig, doch nicht zu unverhohlen – denn schließlich gaffte man einen König nicht an wie eine zweiköpfige Sau auf dem Jahrmarkt –, sahen die übrigen Gäste mit an, wie die Herren sich den Gerstensaft munden ließen. Die Stimmung stieg, und die Bierkellner kamen kaum nach, die durstigen Kehlen zu tränken.
    »Ihm scheint es zu schmecken!«, stellte Stephan mit einem Zwinkern fest und deutete verstohlen mit dem Kinn auf Seine Majestät, an deren Tafel man bereits die dritte Runde brachte.
    Gemütlich lehnte Maximilian in dem eigens für ihn herbeigeschafften gepolsterten Sessel, die Wangen bierselig gerötet, und unterhielt sich mit einem älteren Herrn, der zu seiner Rechten Platz genommen hatte.
    »Allen anderen aber auch«, erwiderte Lisbeth mit einem Lachen.
    »Das ist ja wohl verständlich«, sagte Stephan. »Einen König hat man schließlich nicht alle Tage in seiner Mitte, und wer kann schon von sich behaupten, mit einer Majestät gezecht zu haben?«
    »Wenn schon nicht an seiner Tafel, dann zumindest im selben Raum«, stimmte Lisbeth zu.
    »Nun, ich für meinen Teil ziehe die Gesellschaft einer liebreizenden Frau allen Majestäten vor«, sagte Stephan galant und angelte zwei gefüllte Becher von einem Tablett, das einer der Bierkellner gerade an ihnen vorbeitrug. Einen davon reichte er Lisbeth, mit dem anderen prostete er ihr zu. »Auf das Wohl meiner schönen Schwägerin!« Er lächelte. Sein funkelnder Blick suchte den ihren und hielt ihn für einen Moment fest.
    Verlegen senkte Lisbeth die Lider und nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher.
    Stephan beugte sich zu ihr vor und fragte mit verhaltener Stimme: »Kennst du den Unterschied zwischen dem König und einem ehrbaren kölnischen Bürger?«
    »Nein«, entgegnete Lisbeth, gleichfalls im Flüsterton.
    »Nun, es ist ganz einfach: Die Windeln des ehrbaren kölnischen Bürgers hängen hinter seinem Haus. Die Windeln des Königs hängen im ganzen …«
    »Grüß Euch, Schwägerin.« Unbemerkt war Andreas Imhoff zu ihnen getreten und begrüßte sie mit knapper Verbeugung. »Du nimmst dir ja einiges heraus, Ime Hofe«, sagte er. »Keine Angst, dass man dir für deine Lästerlichkeiten den Kopf abschlägt?«
    Lisbeths Stirn umwölkte sich. In seiner

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