Die Tochter der Suendenheilerin
holen.«
»Bei dem Unwetter könnte er leicht zu spät kommen. Ich kümmere mich um das Tier.« Stephan betastete vorsichtig den Leib der Stute.
»Wahrscheinlich steckt das Beinchen fest.« Der Stallbursche strich Myra über die Nüstern. »Nur Jecklin kann ein Fohlen im Leib wenden.«
»Das kann ich auch«, entgegnete Stephan mit erstaunlicher Gelassenheit und zog sein Hemd aus. »Hol mir einen Eimer Wasser und zwei Stricke! Fräulein Antonia wird das Pferd so lange beruhigen.«
Antonia trat einen Schritt näher. »Was hast du vor?«
»Nachfassen, wo es hakt.«
»Hast du das schon einmal gemacht?« Sie hob verunsichert die Brauen. Es gab nur wenige Männer, die diese Kunst beherrschten, und für gewöhnlich stammten sie nicht aus dem Ritterstand.
»Mehrmals«, entgegnete er. »Ich habe es in Ägypten gelernt.«
»Auf dem Kreuzzug?«
»Nein.« Er betastete noch einmal Myras trächtigen Leib und schob die rechte Hand vorsichtig in die Geburtsöffnung. Das Pferd schnaubte, wehrte sich aber nicht.
»Fühlst du etwas?«
Er schob den Arm weiter vor. »Ja. Die Knechte hatten recht. Ein Vorderlauf liegt quer.«
Der Stallbursche kehrte zurück.
»Hier, Wasser und Stricke!« Er stellte den Eimer ab und hielt Stephan die Stricke entgegen.
»Knüpf zwei Schlingen für die Vorderbeine!«, befahl der. »Hast du schon einmal geholfen, ein Fohlen vorsichtig zu ziehen?«
»Nein, Herr.«
»Dann pass gut auf!« Stephan zog die rechte Hand zurück, nahm die Stricke und führte den Arm wieder ein. Antonia merkte, wie die Stute unruhig wurde.
»Ganz ruhig!«, flüsterte sie ihr zu und streichelte sie sanft. Dabei blickte sie ihr in die Augen – und erstarrte! Sie hatte geglaubt, alles über die Seelenflamme von ihrer Mutter gehört zu haben, aber niemals hatte ihre Mutter ihr verraten, dass auch Tiere eine solche Flamme besaßen. Sie sah das Licht hinter den Augen des Pferdes, ein weißes Feuer. Die weiße Flamme derer, die eine ungeborene Seele hüteten. Ein Licht, das ihre Mutter immer nur bei schwangeren Frauen wahrgenommen hatte. Besaßen die Tiere etwa ebenso eine von Gott gegebene Seele? Oder war es nur der Lebensfunken?
Die Gedanken rasten, waren so ungeheuerlich, dass sie nicht mehr auf Stephan und den Stallburschen achtete.
»Halt sie gut fest!« Stephans Stimme riss Antonia aus ihrer Erstarrung. »Bei der nächsten Wehe ziehen wir vorsichtig.«
Myras Körper erzitterte erneut.
»Nicht so schnell!«, hörte sie Stephan dem Jungen zurufen. »Ganz langsam, sonst zerreißen wir ihr den Leib.«
Antonia betrachtete weiterhin die Augen der Stute. Das weiße Licht wurde schwächer. War es am Verglimmen, weil sie in Lebensgefahr schwebte? Oder war dies ein Zeichen dafür, dass sie sich von ihrem Fohlen trennte?
»Halt, wir müssen warten, bis die nächste Wehe kommt!« Stephan atmete schwer. Antonia sah, wie er in der Zwischenzeit zum Eimer griff und sich das Blut vom Arm und von den Händen wusch.
Mit der nächsten Wehe der Stute schoben sich die Hufe hervor.
»Jetzt ist es gleich geschafft«, sagte Stephan. »Noch ein oder zwei Wehen.«
Antonia streichelte die Nüstern des Pferdes. Myras Seelenflamme leuchtete mittlerweile hell und gelb wie die eines Menschen.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Antonia spürte den Ruck, der durch das Pferd ging, hörte das dumpfe Aufschlagen des neugeborenen Fohlens.
»Da ist es!« Stephan lachte laut auf, griff nach einem Strohbündel und rieb das Fohlen trocken. »Ein kleiner Hengst. Los, Antonia, zeig ihr das Fohlen!«
Während Myra ihr Fohlen beschnupperte, betrachtete Antonia Stephan. Das Haar fiel ihm schweißnass in die Stirn, sein nackter Oberkörper war mit dem Blut der Stute besprenkelt, aber sie hatte ihn noch nie so strahlend gesehen. Ein Mann, der mit sich und seinem Tun vollständig im Reinen war. Sie kniete neben ihm im Stroh nieder und streichelte über das feuchte Fell des Fohlens.
»Du bist wundervoll«, flüsterte sie ihm zu. »Und wenn es nicht längst geschehen wäre, dann würde ich mich spätestens jetzt in dich verlieben.«
43. Kapitel
E in greller Blitz erhellte den Hof, während sich rollender Donner mit dem Geräusch des prasselnden Regens mischte.
»Vielleicht sollten wir die Flucht doch lieber abbrechen«, raunte Lena Sibylla zu. Sie waren unbemerkt an der Wachstube vorbeigekommen, aber beim Blick nach draußen zögerte Lena. Sie kannte die Gefahren eines Gewitters im Wald nur zu gut.
»Unsinn!« Rudolf schob sich zwischen die
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